Das Yogawort zum Sonntag – Peinlich

Das ging schnell.

„Mama, sag das nicht so. Das ist peinlich.“ Es ist soweit, unserem Sohn ist peinlich, was meine Frau zu ihm sagt. Oder – genauer gesagt – wie sie es sagt. Sie soll das Abendessen in Zukunft bitte nicht mehr als „sooo fein“ anpreisen, „so lecker“ würde es seiner Meinung nach auch tun (immerhin). Andernfalls klänge das irgendwie peinlich. Na gut, wenn es um derartige Kleinigkeiten geht, ist das fein für mich. Aber der Junge ist doch erst vier Jahre alt! Also viereinhalb Jahre, aber trotzdem. Meine Frau war fix und alle, als er sie darauf hingewiesen hat, ich selbst war leider nicht live dabei – sonst wäre ich wahrscheinlich peinlicherweise unterm Tisch gelandet. Wir sind uns unsicher, ob er die genaue Bedeutung des Wortes „peinlich“ überhaupt kennt und woher er sich das Recht nimmt, unsere Wortwahl bewerten zu können. Ich meine, wir sind immerhin Profis in Sachen Sprache: Eine studierte Germanistin sowie Texterin und ein Blogger/Werbetexter. Und jetzt? Nur noch peinlich. Ich kann nicht mehr.

Wenn der wüsste.

Es gab bei uns (wie bei allen Familien) noch vor gar nicht so langer Zeit diese heißen Sommernächte, in denen ich den schlaflosen Jungen schreiend (der Junge schrie) durch die Wohnung getragen habe. Oder diese Momente, in denen ich von jetzt auf nachher zwei bis drei seiner Körperflüssigkeiten auf meiner Haut hatte. Oder wir eine Stunde im Badezimmer verbracht haben, bis ich endlich mit der Zahnbürste seine zwei bis drei Zähne säubern durfte. In diesen Momenten habe ich manchmal von Rache geträumt. Und zwar nicht als schreiender, inkontinenter Greis mit zweifelhafter Zahnhygiene. Nein, etwas früher: Als oberpeinlicher Trottel-Papa. Wenn er seine erste große Liebe mit nach Hause bringt (oder die zweite). Wenn er eine Schulaufführung hat. Oder ich ihn von einer Party abhole. Dann könnte ich es ihm heimzahlen, ihn vor Fremdscham im Boden versinken lassen. Aber dass er sich dem schon so früh in seinem Leben stellt, damit hatte ich nicht gerechnet. Womit er aber jetzt nicht rechnet: Es wird noch Jahre dauern, bis er das Ende der Fahnenstange von „peinlich“ bei seinem Vater nur ansatzweise zu sehen bekommt.

Geht’s eigentlich noch?

Manche Eltern träumen davon, ihren Kindern beste Freunde zu sein. Mit ihnen auch als Teenager noch über alles zu sprechen, vielleicht sogar mit ihnen ein bisschen um die Häuser zu ziehen. Ich halte das für weitgehend unrealistisch. Über alles (ALLES!) wollte selbst ich mit meinen Eltern irgendwann nicht mehr reden. Und ich weiß nicht, ob sie überhaupt Interesse daran gehabt hätten, mit mir hinterm örtlichen Jugendzentrum Billig-Wein zu saufen, bis er oben wieder rauskommt. Natürlich gibt es diesen heiligen kleinen Traum auch bei mir, aber ich rechne ehrlich gesagt nicht unbedingt damit. Es wäre vielleicht sogar mir ein bisschen peinlich, mit meinem Sohn über die individuellen Vorzüge entkleideter 15-Jähriger zu sprechen. Oder wie wichtig es ist, die lange Metal-Mähne beim Weißwein-Kotzen mit einem Haargummi zu sichern. Darum halte ich mich an die Realität und träume weiterhin von meiner kleinen Rache für die schlaflosen Nächte. Und das ist irgendwie auch schon wieder etwas peinlich, oder?

Normal ist anders.

Man hat nur einen Satz Eltern. Und man liebt sie von Geburt an und lernt von ihnen in den ersten Jahren alles über das Leben. Meine Kinder wachsen zum Beispiel mit einem Vater auf, der drei verschiedene „Jobs“ hat, meistens eine Jogginghose oder Leggings trägt und oft zuhause ist. Dafür meditiert er morgens gerne in Ruhe, arbeite auch abends und am Wochenende und lässt sich gerne mal von Mama in wilden Yogaposen fotografieren. Bei uns zuhause ist das ganz normaler Alltag. Und ich bin mal gespannt, wann den Kindern dieses Leben seltsam vorkommt. Das und das Gesinge zum Harmonium. Das Lernen neuer Asanas (Autsch!). Oder (ganz neu!) der schwarze Nagellack. So wie ich die Sache sehe, wird das die nächsten Jahre nicht unbedingt besser, weil ich in meiner spirituellen Entwicklung (böse Zungen nennen es „Abdrehen“) noch immer am Anfang stehe, das Tempo aber langsam anzieht. Noch riecht es bei uns nicht nach Räucherstäbchen und noch umarme ich keine Fremden wahllos auf der Straße. Aber vor nur einem Jahr war ich noch nicht mal in der Yogalehrerausbildung. Wenn mein Sohn lesen könnte, hätte er spätestens jetzt ein wenig Angst…

Zu spät, zu spät!

Eines der schönsten Dinge am Älterwerden ist, dass einem irgendwann nichts mehr peinlich ist. Also das hoffe ich zumindest. Aber je mehr ich mich selbst und die Welt um mich herum akzeptiere, wie sie ist, desto sorgloser gehe ich durchs Leben. Also ziehe ich mein Ding durch mit dem Meditieren und Massieren und den Leggings und den Instagrams. Aber selbst wenn ich anders leben würde und wieder einen ganz normalen Bürojob hätte, würde es für meinen Sohn wohl keinen Unterschied machen. Mein eigener Vater war mir auch ohne Nagellack peinlich. Und meine Mutter sogar mit. Es gehört einfach zum Spiel dazu, dass Kinder so über die Eltern denken. Manche mit viereinhalb und andere mit ganzen 14 immer noch. Und ich liebe diese Erkenntnis: Egal, wie cool ich mich selbst finde, wird es mindestens zwei Menschen auf der Welt geben, die lieber ins Kloster als mit mir auf eine Party gehen würden. Ich sehe das für mich als Freifahrschein und lebe lieber genau das Leben, das ich selbst leben will. Denn ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Am Ende bin ich für meine Kinder mit oder ohne Yoga und Leggings und Nagellack weder cool noch fein noch lecker. Sondern einfach nur peinlich. Namaste.

PS: Egal, wie schrecklich peinlich mir meine Eltern mit viereinhalb selbst waren: Sie waren immer für mich da und hatten (und haben) es sicher nicht immer leicht mit mir.

Hinweis: Die alles andere als peinlichen Leggings (meine Meinung) auf den Artikelfotos habe ich von meinem Partner Kapow Meggings bekommen. Mit dem Rabattcode „yogadude“ erhältst du im Kapow Online-Shop ab sofort 10% Preisnachlass.

Fotos: Liza „besser peinlich als egal“ Meinhof