Extrem-Yoga – Teil 4: Yoga mit Behinderten

Wir Yogis aus dem Lalaland.

Yogis sind gute Menschen. Wir sind alle gleich, Gewalt ist böse, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft gehören zur menschlichen Grundausstattung. Blablabla. Und – speziell auf Facebook und Twitter – helfen wir allen, die Hilfe brauchen: Flüchtlingen (bitte nicht abschieben), Tieren (bitte nicht essen) und Kindern (bitte nicht autoritär erziehen). Mit wem wir uns (weder auf Facebook noch im „echten Leben“) selten beschäftigen, sind Menschen mit Behinderung. Die haben zwar auch eine Lobby, wenn man aber nicht zufällig Behinderte in der Familie hat, kommt man selten mit ihnen in Kontakt. Mir ging das genauso, bis zu meinem Zivildienst. Aber wir hatten ja auch gar nichts damals in der Provinz! Bei uns gab es weder Flüchtlinge noch Vegetarier und die eisenharte Erziehung hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind: Verdammte Hippies!

Ich mach dann mal was Sinnvolles.

Als ich nach der Schule meinen Zivildienst antrat, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, etwas Sinnvolles für andere zu tun. Puh. Im Pflegedienst kam ich von heute auf morgen in sehr engen Kontakt zu Menschen mit Behinderung, Menschen die vorher unendlich weit von mir entfernt waren. Und dabei habe ich einiges gelernt. Zum Beispiel, dass körperliche und geistige Gesundheit gar nicht so selbstverständlich sind, wie ich das immer empfunden habe. Ich habe in dieser Zeit einige wirklich tolle Menschen kennengelernt und sehr wichtige Momente erlebt, an die ich auch noch 20 Jahre später regelmäßig denke. Deshalb habe ich mich auch sehr gefreut, als Special Olympics Bayern mit der Idee auf mich zukam, einen „Aktivtag Yoga“ für Menschen mit geistiger Behinderung zu veranstalten. Diese Aktivtage sind eine Art Schnupperkurs, in denen Interessierte neue Sportarten (Ja, ja, Yoga ist kein Sport) ausprobieren können. Und weil ich finde, dass Yoga für alle ist, sollten auch unbedingt eingeschränkte Menschen die Chance haben, zu praktizieren. Mein innerer Gutmensch war aktiviert.

Premiere auf der Matte.

Am 21.6. war „Internationaler Tag des Yoga“, einen Tag danach fand der erste „Aktivtag Yoga“ von Special Olympics Bayern statt. Meine Freundin Annina hatte sich im Vorfeld als Lehrerin bereit erklärt, als Location konnten wir die Räumlichkeiten von Jaya Yoga in München gewinnen. Mit uns auf der Matte: Sechs Athleten mit unterschiedlichen geistigen Behinderungen und dazu zwei Betreuer sowie zwei Mitarbeiter von Special Olympics Bayern. Full House bei 30 Grad – so mag ich es gerne. Das erste, was auffiel: Auch bei Behinderten ist die Männerquote leider relativ gering. Nur einer der Athleten war männlich, da gibt es also auch noch Raum nach oben. Als alle ihre Matten ausgerollt hatten, gab es eine kurze Vorstellungsrunde und schnell war klar, dass bei allen wenig bis gar keine Yogaerfahrung vorhanden war. Eine Chance?

Inklusion zu Ende gedacht.

Ohne ein Fazit vorweg zu nehmen, kann ich sagen, dass sich Yoga mit Behinderung nicht großartig von Yoga ohne Behinderung unterscheidet. Anfänger-Herausforderungen sind  Anfänger-Herausforderungen, wer noch nie länger als zwei Minuten ruhig auf dem Boden gesessen hat, fängt zwangsläufig an rumzuwackeln, um einen bequemen Sitz zu finden. Wer noch nie Atemübungen gemacht hat, muss sich beim abwechselnden Zuhalten der Nasenlöcher etwas konzentrieren. Beim Aktivtag Yoga kam zu den üblichen „Startschwierigkeiten“ lediglich hinzu, dass einige Anweisungen von den Betreuerinnen in Gebärdensprache übersetzt werden mussten, ansonsten war es eine ganz normale erste Yogaklasse. Interessant für mich war auch das Verhältnis der Athleten zu den Betreuern: Einige Teilnehmer haben immer wieder den Blick zu ihren Betreuerinnen gesucht und sich quasi Bestätigung und Sicherheit abgeholt. Das ist kein normaler Job, was diese Frauen da leisten, das ist eine echte emotionale Herausforderung mit ganz großer Verantwortung. Chapeau!

Als Mensch habe ich viel gelernt.

Und als Yogi erst recht: Was mir persönlich zum Beispiel sehr gut getan hat, war der Step-by-Step-Sonnengruß: Jeder routinierte Yogi sollte ab und zu mal seine Asanas einzeln und kontrolliert durchgehen. Mir sind ungefähr 1.000 verbesserungswürdige Kleinigkeiten an meiner Abfolge aufgefallen, die sich inzwischen unbemerkt eingeschlichen haben. Außerdem war ich beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit denen die Athleten an die Partnerübungen („doppelter“ Baum und ein Downdog mit Gurt-Assist) herangegangen sind. Das habe ich auch schon mit Schamgefühl erlebt.

Die Ruhe nach dem Sturm.

Bei unserem ersten Aktivtag Yoga ging es ziemlich fröhlich zu: Es war über drei Stunden lang eine tolle Erfahrung für alle Beteiligten, kein falscher Ehrgeiz, aber auch kein Desinteresse bestimmten diesen Workshop. Mein persönlicher Anspruch an eine gute Yogaklasse ist immer, dass sie Spaß macht und dass auch mal gelacht werden darf. Und am Ende sollten alle glücklich und verschwitzt in Savasana ankommen. Beim Aktivtag war dies alles gegeben: Es wurde viel gelacht, aber jeder wollte auch jede Asana zumindest ausprobiert haben. Dabei haben die Mitarbeiter von Special Olympics übrigens nicht immer besser ausgesehen als die Behinderten. Und ich war auch schon in vielen Klassen, in denen Teilnehmer eine Übung lieber auslassen, als sich vor den anderen die Blöße zu geben, sie nicht perfekt auszuführen. Was das betrifft, hat mich die Gruppe schwer beeindruckt, hier war ganz großer (Entschuldigung) Sportsgeist zu sehen. Respekt. Und obwohl unsere 180 gemeinsamen Minuten auf der Matte von viel Unruhe geprägt waren, habe ich selten am Ende eine intensivere Stille bei Savasana erlebt. Mit euch gerne wieder. Namaste.

Vielen lieben Dank an Special Olympics Bayern, die einen ganz wunderbaren Tag möglich gemacht haben. Ich wünsche euch und euren Athleten von Herzen alles, alles Gute – auf der Matte und überall.


One response to “Extrem-Yoga – Teil 4: Yoga mit Behinderten”

  1. Peter Avatar

    Danke Dir fuer Deinen schoenen Bericht.
    Was fuer Dich wohl neu war, kennen wir bei Special Olympics schon laengst: keine Scheu, keine Scham, kein Auslachen. Jeder hilft jedem, so gut es in seinem eigenen Rahmen eben geht. Jeder gibt sein Bestes.
    Special Olympics Athleten sind genauso gut/schlecht wie alle anderen Menschen auch, nur ehrlicher, direkter und mutiger.
    Schoen, dass wir wieder einen Menschen davon ueberzeugen durften.