Om am See Yoga Festival 2020 – ein Heldenepos in vier Akten

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Echte Helden. 

Die yogischen Schriften sind voller Heldengeschichten. Der Affengeneral Hanuman zum Beispiel ist nur einer von ihnen und es ist auch kein Zufall, dass es Asanas wie den Heldensitz im Yoga gibt. Aber ganz gleich, ob Yoga oder “echtes Leben“: In einem Punkt sind sich eigentlich alle Heldengeschichten gleich. Also wenn man sie von den Helden selbst in ungeschöhnter Fassung übermittelt bekommt. Wenn denen, die wir Helden nennen, etwas wirklich Wichtiges passiert, wenn Menschen über sich selbst hinaus wachsen und für sich und andere Großes vollbringen. Dann haben sie – und darin sind sich alle einig – immer das Gefühl, ihrer Rolle nicht gewachsen zu sein. Zu klein zu sein für das, was gerade vorgeht. Und erst im Nachhinein erkennen sie dann vielleicht selbst, was ihnen gelungen ist. Und ein bisschen so ging es mir nach dem Om am See Yoga Festival in Füssen im Allgäu letztes Wochenende. Nur, dass ich da nicht selbst der Held war. Wie meistens spielte ich eine kleine Nebenrolle, war dafür aber ein aufmerksamer Beobachter für die Nachwelt.

Erster Akt – Die Ruhe vor dem Sturm

Bei manchen Geschichten ist von Anfang an eigentlich klar, was passieren wird. Wenn es zu idyllisch zugeht, hat man schon so ein latentes Gefühl in der Bauchgegend, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Und genau diese Situation herrschte letzten Freitag am Forggensee. Das Festspielhaus lag dort bei sonnigen 28 Grad am Ufer des blauklaren Wassers, umgeben von malerischer Berglandschaft und mit Blick auf das absurd kitschige Schloss Neuschwanstein. Auf dem Gelände tummelten sich Yogalehrer, Marktstandbetreiber und allerlei Offizielle in einem entspannten Miteinander und legten letzte Hand an das für den Folgetag geplante Yogafestival. Alles schien möglich an einem Tag wie diesem. Nach langer Isolation und bangem Warten gab es nun doch ein Yoga-Festival und perfekter hätten die Rahmenbedingungen nicht sein können. Bis der Sturm kam. Und er kam über uns wie das, was er im Grunde ist: Eine Naturgewalt, von den Göttern gesandt. Der Himmel verdunkelte sich, es frischte auf und – ehe wir uns versahen – rissen die Böen und der Starkregen die ersten Zelte mit sich. 

Zweiter Akt – Die längste Nacht

Wie eingangs erwähnt – echten Helden ist es erstmal nicht bewusst, dass sie heldenhaft handeln. Sie tun es einfach. Und so taten es auch diejenigen, die mit der Kraft ihrer Körper das Festivalgelände gegen den Zorn von oben verteidigten. Oder im strömenden Regen Zeltschnüre kappten und Planen einschnitten, um Schlimmeres zu verhindern. Alle Anwesenden packten zusammen an und kämpften Seite an Seite gegen die Bedrohung und für ein gemeinsames Ziel: Nur einmal, nur ein einziges Mal in diesem Sommer zusammen ein Yogafestival zu erleben. Die Berichte aus diese langen Nacht sind teilweise verwirrend, teilweise sogar verstörend. Doch eines war klar: Komme was wolle – dieses eine Yoga Festival würde stattfinden.

Dritter Akt – Die stete Bedrohung

Als der Morgen graute und das wahre Ausmaß der Verwüstung sichtbar wurde, meditierten die Helden von Füssen nicht lange, sondern machten sich mit frischer Kraft ans Werk. So schnell wie möglich sollte so etwas wie Normalität herrschen. Denn die ersten Yogis waren schon voller Vorfreude unterwegs zum Ort des Geschehens. Und sie sollten nicht enttäuscht werden. Rasch wurde aufgeräumt, in windeseile Zelte repariert oder gar ersetzt. Es konnte losgehen. Und es ging auch los. Nur, dass es noch immer regnete. Das Wasser schien unaufhörlich auf das Allgäu niederzuregnen. Mal stärker, mal schwäche,r aber ohne Pause. In weiser Voraussicht hatte man deshalb die Outdoorklassen nach innen verlegt. Doch der Yogi-Markt (und mit im u.a. der Autor dieses Artikels) war weiterhin beinahe schonungslos den Launen der Naur ausgeliefert. Und so kämpfte man sich durch Regen und Kälte. Die Mittagsstunde kam und der Nachmittag nahm seinen Lauf, mit heißen Getränken und yogischen Speisen hielt man vor den Toren die Stellung, während drinnen die Unbescholtenen ihrer Yogapraxis nachkamen. 

Vierter Akt – Das große Finale

Durchnässt und unterkühlt, mit sinkender Moral ging es nun schon dem Abend entgegen. Und der regen wollte nicht enden. Dafür stand in den Heilgen Hallen des Festspielhauses so etwas wie eine Entscheidungsschlacht epischer Ausmaße an: Der Yogadude stand zeitgleich mit den legendären Yoga-Helden Patrick und Petros auf der Bühne, um die letzten Klassen des Tages anzuleiten. Und der Dude wusste nicht genau, was ihn erwarten würde. Er selbst war sichtbar geschwächt von den Strapazen und Entbehrungen der vergangenen 24 Stunden. Würden die Yogis ihm noch zur Seite stehen für eine letzte gemeinsame Einheit? Die Antwort auf diese Frage bekam er, als er den Raum betrat: Eine große Gruppe bestens gelaunter Frauen und Männer hatte sich versammelt, um diesen denkwürdigen Tag gemeinsam zu Ende zu bringen. Und wie sie das taten: Es wurde noch einmal gekämpft und geschwitzt und – ja, es wurde auch gelacht. Und so fand – entgegen aller Prognosen – dieser einzigartige Tag ein einzigartiges Ende. Und als die Götter ihre Niederlage erkannten, schickten sie zum Abschied einige Sonnenstrahlen zu uns. Aus Jungen waren Männer geworden, aus Yogis Helden. Helden, die gezeigt haben, dass es sich lohnt zu kämpfen, wenn man es gemeinsam macht. Zu kämpfen für ein Ziel, dass uns allen – unabhängig von Naturkatastrophen und Seuchen  – nicht verloren gehen darf. Unser Yoga. Das uns zu dem macht, was wir sind: Echte Helden auf der Matte und abseits davon. Wir sehen uns im nächsten Jahr auf dem geweihten Boden im Allgäu. Namaste. 

PS: Der Yogadude ist übrigens die Art von Held, die sich beim Om am See eine wenig heldenhafte Nacht im Hotelbett gegönnt hat.

Fotos: Liza „Das ist doch kein Wetter“ Meinhof