Yogadude im Interview – Robert Ehrenbrand von BOYSETSFIRE

Danke, Facebook.

Yogalehrer sind auch nur Menschen. Das entschuldigt zwar nichts, beugt aber Missverständnissen vor. Und als Mensch (und Yogalehrer) verbringe ich – wie die meisten anderen Menschen (und Yogalehrer) auch – viel zu viel Zeit mit den sogenannten sozialen Medien. Aber Facebook und Co. sind ja nicht nur schlecht und böse. Man kann diese Plattformen nutzen, um sich auszutauschen und neue Dinge kennen zu lernen. Ich bin kürzlich beim Verbrennen meiner Lebenszeit am Handy über einen spannenden Workshop gestolpert, für den eine „befreundete“ Person sich „interessierte“: Hardcore Yoga. Auf dem Bild zur Veranstaltung: Ein ziemlich tätowierter, ziemlich akrobatischer Typ, den ich noch nie gesehen hatte. Aber der mir – aus offensichtlichen Gründen – auf Anhieb sympathisch war. Als sich rausstellte, dass er außerdem noch Rockmusiker ist und in München lebt, war klar: Ich muss ihn kennenlernen. Zeit für ein Interview mit Robert Ehrenbrand.

Hardcore, Yogi.

Perfektes Timing: Als ich Robert um ein Gespräch bat, hat offenbar alles gestimmt. Ich war neugierig, er hatte Zeit und Lust mich zu treffen und wir hatten sogar bestes Wetter, um uns zum Kaffee im Freien zu treffen.

Bevor wir über Yoga sprechen, will ich natürlich wissen, was dein musikalischer Hintergrund ist.

Ich spiele seit 20 Jahren Bass bei der Post-Hardcore-Band BOYSETSFIRE. Uns gabs als Band eine Zeit lang nicht. Und das ist auch der Grund, warum ich jetzt hier in München lebe und der Rest der Band in den USA. Ich habe selbst auch an der Ostküste gelebt, war zwischen 20 und 30 Profimusiker, habe weltweit getourt. Dann hatten wir das Gefühl, unsere musikalischen Träume wären erfüllt – und wir haben uns aufgelöst. Ich bin dann in meine Geburtsstadt München zurückgekehrt. Mit einem kleinen Zettel in der Tasche, auf dem ein paar Dinge standen. Und das war unbewusst der Start von BECOMINGME und der ganzen Yogasache.

Aber Yoga praktizierst du schon länger, oder?

Yoga war schon immer Teil meines Lebens – allerdings weniger Asana-Yoga. In meiner Familie war Yoga aber immer sehr präsent, ich habe schon als Kind intensiven Kontakt mit Meditation und spiritueller Praxis gehabt.

Du wusstest auch als Kind schon, dass du Profimusiker werden willst?

Ja. Schon mit zehn Jahren war mir klar, dass ich Musiker werden wollte. Nach dem Anschauen eines Metallica Live-Mitschnitts habe ich meine ganze Familie versammelt und meinen Wunsch öffentlich kundgetan.


Und bist erst mal Schlagzeuger geworden, spielst jetzt aber Bass. 

Und eigentlich bin ich sogar Gitarrist. Aber das Schlagzeug ist die perfekte Basis für jedes Instrument. Mir ist erst viel später bewusst geworden, wie wichtig das für mich war. Auch jetzt, wo ich bei BECOMINGME viel mit Atmung arbeite. Selbst wenn wir alle wissen, wie Atmen geht, wissen wir es ja doch nicht ganz. Und bis heute habe ich eine Affinität zu Rhythmus. Beim Feueratem zum Beispiel. Ich liebe diese Übung, mache sie täglich. Wenn diese Übung allerdings ohne Rhythmus passiert, ist sie wertlos. Und du kannst nicht über Flow sprechen, aber Rhythmik ausklammern. Wenn du einen Fluss haben willst, darf es nicht ruckeln. Wer schon mal in einer Yogastunde war, in der es geruckelt hat, weiß was ich meine.

Wie bekommst du Yoga, Musik und Familie unter einen Hut?

Yoga hat ja im Moment bei mir die Musik abgelöst, was die Intensität betrifft. Die Musik kommt immer wieder und zieht sich dann wieder zurück, aber das Unterrichten ist immer da. Und ich bin sehr dankbar, dass das so geklappt hat. Mein Alltag ist heute einfach sehr viel kompatibler mit Unterrichten als mit Touren: Ich stehe früh auf, gehe früh ins Bett und das Touren kann ganz schön anstrengend sein. 

Hast du auf Tour dann überhaupt Zeit für Yoga?

Ja, schon. Ich bin da zwar ein bisschen der Außenseiter, habe aber vollen Respekt und volle Unterstützung. Im Backstagebereich habe ich sogar meinen eigenen Bereich mit Räucherstäbchen und Yogamatte. Und ich biete auch Yogastunden an, wenn wir unterwegs sind, wir sind da eine richtige kleine Gruppe mittlerweile. Da sind Leute von der Crew mit dabei, der Tourmanager und der Schlagzeuger. Teilweise sind das bis zu zehn Leute, die da mitmachen bei der Yogasession hinterm Nightliner. Und ich freue mich, dass Yoga so undogmatisch seinen Weg in BOYSETSFIRE hineingefunden hat. Und auch Ausdruck findet! Auf dem Cover unserer letzten Platte ist eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt zu sehen – eine klare Kundalini-Referenz.

BOYSETSFIRE von BOYSETSFIRE – eine klare Kundalini-Referenz

Genau wie BECOMINGME. Was ist das genau?

BECOMINGME ist ein Konzept, das aus verschiedenen Strängen, die mich lebenslang begleitet haben, entstanden ist. Das ist einmal dieser Bewegungsteil – mein Background ist seit meiner Kindheit Kampfsport, aber das ist bei BECOMINGME schon sehr Yoga-basiert. Ohne Equipment, ganz klassisch auf der Matte. Es ist nur ein wenig dynamischer als beispielsweise Kundalini Yoga. Also eine Mischung aus Kampfsport, Hatha Yoga und dynamischen Übungen. Immer mit dieser Verknüpfung zur Atmung und zur Musik. Und die Idee ist, dass der Übende kommt und Impulse bekommt für eine eigene Praxis. Ich glaube, dass man die Entspannung, um offen zu sein und das Universum passieren zu lassen, nur sehr schwer auf der Couch findet. Eine eigene Praxis ist der Schlüssel zu dieser inneren Offenheit.

Es steckt relativ viel von deiner eigenen Praxis bzw. deinem Leben in BECOMINGME.

BECOMINGME ist ein Yoga-basiertes Übungssystem, das aber andere Systeme miteinschließt, die meinem Leben einen Mehrwert gegeben haben. Wenn man es ganz kurz beschreiben sollte, ist es der Versuch, mit den Erwartungen der Leute an ihre Yogastunde zu spielen. Ich versuche jedes Mal, dass nicht das passiert, was du erwartest. In einem sicheren Rahmen will ich so physische, mentale und emotionale Kraft aufbauen. Denn ein rein physischer Ansatz reicht im Jahr 2019 nicht mehr, um stark zu sein.

Robert live auf der Bühne mit BOYSETSFIRE

Also „mens sana in corpore sano“?

Den physischen Körper kann man durchaus als Schlüssel benutzen für den mentalen und emotionalen Körper. Und ich glaube, Menschen können sich verändern. Ich glaube an das Transformationspotenzial. Darum habe ich Wirtschaftspsychologie studiert. Das war auch der Grund, warum ich BECOMINGME gegründet habe und unbewusst war es wohl auch der Grund, warum ich Musiker geworden bin. Ich glaube an das Transformationspotenzial von Bewegung und Sound und von authentischen Lehren. Ich glaube nicht an Religion und an Dogma. Und an Pseudo-Moral und Pseudo-Demut.

Okay. Was ist Pseudo-Demut?

Das kann man in der Yogaszene ganz gut beobachten. Das erkennt man teilweise schon an der Stimme. Diese sanfte Yogalehrerstimme, zu der sich manche Leute zwingen müssen. Manche haben diese Stimme, ich „leider“ nicht. Ein Schüler meinte mal, ich klinge wie ein „Yogi Drill Instructor“. Ich kann da leider nicht wie andere Lehrer sein, ich kann nur ich sein. Und ich bin eben oft laut und impulsiv. Aber nochmal zurück zur Pseudo-Demut: Das ist dieses angespannt-das-Richtige-Tun. Du tust nominal das Richtige, aber nicht aus den richtigen Gründen. Und das ist eine Sache, die wir als Lehrer und Übende leben müssen. Yoga heißt eben auch, die inneren Grenzen zu verschieben. Nicht, sich aus der Welt zurück zu ziehen. Sondern sich stark in der Welt zu präsentieren. Und dafür braucht es eben auch mal einen Drill Instructor. Das Leben ist hart. Und wir brauchen Stärke. Und dem wird man auch durch Sanftheit alleine nicht gerecht. Vielleicht sollten wir zu anderen ein bisschen sanfter sein und zu uns selbst ein bisschen strenger. Nicht im angespannten Sinne. Aber die Disziplin für eine Praxis musst du in dir finden. Und dann wird Transformation möglich. 

Also soll man beim Yoga so richtig ins Schwitzen kommen?

Ich habe überhaupt kein Problem damit, wie geübt wird. So lange der Kern, warum geübt wird, erhalten bleibt. Und dieser Kern ist, dass wir eine Verknüpfung zu unserem Atem herstellen. Und eine Verknüpfung zu uns selbst und vielleicht sogar zu mehr als uns selbst. Und das kann ich auch erreichen ohne Bewegung und ohne Yogastunde.

Aufmerksam geworden bin ich auf dich ja über dein „Hardcore Yoga“ auf Facebook. Was ist das jetzt ganz genau?

Das ist ein kleines Wortspiel, weil ich aus der Hardcore-Szene komme und mich als Hardcore-Yogi verstehe, im Sinne von jemandem, der musikalisch etwas abseits vom Mainstream sozialisiert wurde. Und dann ist es auch eine recht intensive Praxis, da wird wirklich Selbsterfahrung gesucht. Ich würde das niemandem empfehlen, der zehn Jahre nichts gemacht hat und mal wieder was tun möchte. Es ist für alle Levels, aber man hat mehr davon, wenn schon eine Praxis vorhanden ist. Am Ende ist es aber nichts anderes als die Komponenten von BECOMINGME immer über einen längeren Zeitraum intensiv zu üben. Wir kennen gewisse Atemübungen, aber was passiert, wenn ich die 25 Minuten lange mache? Hardcore, intensiviert.

Aber frei von Pseudo-Demut und Dogma…

Wir haben einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Yoga. Und ich glaube, dass das sehr wichtig ist. Dass wir uns locker machen von Traditionen, die nicht unsere eigenen sind. Es gibt zu viele Sachen, die einfach nachgeplappert und nicht selbst erfahren wurden. Und jetzt wäre die Zeit, sich im positivsten Sinne freizuschwimmen vom Dogma. Und einfach offen zu leben. Nicht gut, nicht schlecht, nicht Moral, nicht Dogma. Sondern einfach zu sein. Manchmal werde ich gefragt, ob ich schon mal Erleuchtungserlebnisse hatte. Und dann antworte ich: So lange wir hier nicht entspannt sitzen können, so lange unsere Körperhaltung uns nicht erlaubt, dass wir einfach mal sind, müssen wir nicht über Erleuchtung reden, finde ich. Erleuchtung ist nicht das Thema unserer Zeit. Das Thema unserer Zeit ist es, nicht mental krank zu werden. Über Erleuchtung reden wir, wenn wir alle entspannt und glücklich sind. Und dazu gehören für mich auch Körperhaltung, Bewegung und physische Kraft. Wir müssen über eine ganze Generation reden, die Medikamente nehmen muss, um sich wohl zu fühlen. Die sich betrinken muss, um zu feiern. Erleuchtung ist nicht unser Thema, das kommt dann im nächsten Schritt.

Robert, vielen Dank für das tolle Gespräch.

Ich danke.

Der nächste Hardcore Yoga-Workshopmit Robert Ehrenbrand findet am 27.7.2019 in München statt.

Über BECOMINGME
BECOMINGME wurde von Robert Ehrenbrand (Bassist bei der US-amerikanischen Band BOYSETSFIRE, diplomierter Wirtschaftspsychologe, zertifizierter Yogalehrer) aus einer lebenslangen Leidenschaft für Bewegung heraus erschaffen. In seinen Trainings verbinden sich Bewegungskonzepte aus dem Yoga mit Eigenkörpergewichtsübungen, Atemtechniken und dynamischen Übungen. Ziel ist eine effektive und tiefgreifende Verbindung zum Aufbau von Kraft, Mobilität, Dynamik und Flexibilität. Dies wirkt als eigenständiges Übungskonzept genauso wie als zusätzliches Training für andere Sport- und Bewegungsarten. Das zentrale Ziel ist ein Wiedererwecken der eigenen Freude an Bewegung und einen Aufbau der eigenen Bewegungsintuition. BECOMINGME ist für jedes Level und jegliche Bewegungspraxis geeignet. Entdecke in dynamischen Prozessen DICH selbst, fordere DICH heraus und wachse über DICH hinaus!

Oder wie Robert es formuliert:
BESTRONG.
BEFOCUSED.
BEENERGIZED.
BEYOU.
www.be-coming.me



Über Robert Ehrenbrand
Robert Ehrenbrand begann seine beiden lebenslangen Leidenschaften (Kampf)Sport & Musik ungefähr zur selben Zeit im Alter von 7 Jahren. Seit seiner Jugend beschäftigt er sich außerdem eingehend mit Yoga und Indischer Philosophie.
Er spielt in der US-Amerikanischen Post-Hardcore-Band BOYSETSFIRE.
Der diplomierte Wirtschaftspsychologe, Yogalehrer, Trainer & Coach unterrichtet Einzelpersonen und Gruppen im Rahmen seiner Arbeit mit BE-COMING.ME in den Bereichen Movement, Yoga & Meditation. 

BE-COMING.ME
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Instagram: @be_coming_me
www.facebook.com/becomingme108/

Fotos: Surf Moment Photography/Basti Sahm, Boysetsfire


One response to “Yogadude im Interview – Robert Ehrenbrand von BOYSETSFIRE”

  1. […] an ging es hier im Blog regelmäßig um dieses Thema. Und auch in meinen Workshops oder den Interviews mit Rockstar-Yogis schwingt dieser Vibe ständig mit. Eine gewisse Portion Inspiration braucht es auch, um überhaupt […]