Extrem-Yoga – Beim Friseur

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Living on the Edge.

Was ich am Yoga am meisten liebe, ist der Nervenkitzel. Zusammen mit meiner Matte habe ich schon viel verrücktes Zeug erlebt: Snoga bei Minusgraden oder Asanas bei sengender Hitze. Oder auch mal undercover mit einer Gruppe geistig Behinderter bzw. mit Rentnern aus den Niederlanden. Ohne jegliche Rücksichtnahme auf die eigene Gesundheit, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Ich halte mich selbst schon für einen richtig verrückten Hund und eigentlich dachte ich, ich hätte mit meinen 40 Jahren schon alles in Sachen Extrem-Yoga gesehen. Bis ich von dieser einen Sache hörte. Zuerst war es nur ein Gerücht, dass in den Umkleiden der Yogastudios die Runde machte – keiner konnte sagen, ob etwas dran ist. Doch es hielt sich so penetrant, dass ich beschloss, ihm auf den Grund zu gehen. Und so machte ich mich auf die Suche nach dem heiligen Gral der Adrenalin-Junkies, etwas, das Jochen Schweitzer und Felix Baumgartner wie Liege-Radfahrer mit Helm und Airbags aussehen ließe: Yoga im Friseursalon.

Unverhofft kommt oft.

Monatelang schlich ich abends durch die Straßen, klapperte einen Friseurladen nach dem anderen ab. Doch außer vereinzelten Spätkunden konnte ich beim Blick durch die Scheiben nicht viel entdecken. Irgendwo müssen sie sich doch treffen, diese Matten-Figaros! Obwohl mir das Aufgeben nicht in die Wiege gelegt wurde (tatsächlich musste ich das Wort im Duden nachschlagen), war ich drauf und dran meine Suche aufzugeben. Bis ich – rein zufällig – beim Joggen auf „Mrs. Friseuryoga“ persönlich traf. Man kann hier von Zufall sprechen – als Yogi halte ich es aber eher für Fügung, als Christ fast schon für ein Wunder. Und genauso wunderbar war die Tatsache, dass sich die ausgebildete Yogalehrerin von mir innerhalb kürzester Zeit komplett einwickeln und ihr gut gehütetes Geheimnis entlocken ließ. Nachdem ich ihr Vertrauen gewonnen hatte, war es einfach mich in ihren geheimen Zirkel einzuschleusen. Schon wenige Wochen später sollte es soweit sein. Meine erste Yogaklasse im Ambiente eines waschechten Friseurladens. Action, Baby!

Yogadude – Extrem-Yoga beim Friseur

Willkommen im Club.

Als normalsterblicher Durchschnittsyogi fällt es natürlich schwer, sich Friseur-Yoga vorzustellen. Deshalb will ich meine Geschichte haar(!)genau widergeben: An einem Donnerstag im September wurde ich für 21:00 zu einem geheimen Treffpunkt bestellt, einem Friseursalon im Münchener Dreimühlenviertel. Um das Erlebnis möglichst gründlich auszukosten, kam ich früh. Und wurde dafür belohnt. Die Lehrerin (ich will sie hier mal Doina nennen), war genauso früh dran und musste den Raum noch vorbereiten. Beim Friseur bedeutet das: die Frisierstühle beiseiteschieben und staubsaugen. Denn die größten Herausforderungen bei dieser extremen Form der Asana-Praxis sind das Platzangebot und die klitzekleinen Haare auf dem Boden. Die will man nämlich nicht unbedingt einatmen, sonst ist der Ujjayi-Atem unter Umständen für immer ruiniert. Als Profi hatte Doina die Frisierstube aber in Nullkommanix in einen akkuraten Yoga-Übungsraum verwandelt. Und das war auch gut so, denn nach und nach trudelten die anderen Friseuryogis ein. Mein Puls stieg – gleich sollte es losgehen.

Yogadude – Extrem-Yoga beim Friseur

Waschen, Schneiden, Schneidersitz.

Um das Geschehen um mich herum optimal im Blick behalten zu können, wählte ich einen Platz ganz hinten am Rand. Direkt vor einem riesigen Spiegel. So sollte mir – selbst in den extremsten Posen – nichts entgehen. Um mich herum hatte sich der Raum mittlerweile fast vollständig gefüllt, Matte an Matte lagen die skurrilsten Typen aus allen Gesellschaftsschichten auf dem Boden und warteten auf das erste „Om“. Lediglich eine einzige Matte, direkt gegenüber von Doina, der Lehrerin, war noch frei, als es schließlich losging. Mysteriös. Bemerkenswert an Doina ist nicht nur die Tatsache, dass sie einem geheimen Underground-Yogakult vorsteht, sondern dass sie – selbst für eine Yogalehrerin – eine unheimliche Ruhe ausstrahlt. Das mag an ihrem Schweizer Akzent liegen, kann aber auch eine heilige Gabe sein. Egal was es ist, sie hat uns fast 90 Minuten lang durch eine sehr angenehme Klasse geführt. Hinterher hat sie mir übrigens verraten, dass sie das Level nicht zu hoch ansetzt, weil doch einige Yoga-Anfänger Teil der Gruppe seien. Ich fand die Beanspruchung für einen Donnerstagabend aber genau richtig und hatte am nächsten Tag trotzdem Muskelkater.

Yogadude – Extrem-Yoga beim Friseur

Die Überraschung zum Schluss.

Als die Gruppe gerade ihren gemeinsamen Groove gefunden hatte und Doina uns durch die Vinyasa schickte, geschah es: Die Tür des Friseursalons öffnete sich und ein etwa 25-jähriger Mann trat ein. Seinem Aussehen nach zu urteilen war er indischer Herkunft, was auch erklären würde, wie selbstverständlich und souverän er seinen Weg auf die Matte und direkt in unseren Flow fand. Doina und die anderen schenkten weder ihm, noch der Tatsache, dass er zu spät kam, irgendwelche Beachtung. Offensichtlich nahm er eine ganz besondere Rolle bei dieser kultischen Zeremonie ein. Im Takt zur lauter werdenden Musik übten wir mittlerweile schon seit gefühlten Stunden, Schweiß tropfte auf meine Matte und damit ging es mir nicht alleine so. Weiterhin ohne jedes Zeichen von Aufregung gab Doina uns Anweisungen, lief unermüdlich von Matte zu Matte und assistierte. Am Rande als Beobachter, ich, mitten im Geschehen, der mysteriöse Fremde. Wo war ich nur hineingeraten? Und wie sollte das enden?

Yogadude – Extrem-Yoga beim Friseur

Alles nur ein Traum?

Am nächsten Morgen erwachte ich in meinem Bett, mein Körper fühlte sich wunderbar entspannt an, in den Muskeln spürte ich sanft die Belastung des Vorabends. Ich war zurück. Zurück aus dem Friseursalon, bei meiner Familie. Wieder einmal hatte ich es geschafft, in eine Parallelwelt abzutauchen, mich darin frei zu bewegen und trotzdem einen Rückweg in die Realität zu finden. So selbstverständlich es mir in der Nacht noch erschienen war, so bizarr blitzten jetzt wieder die Erinnerungen vor meinem geistigen dritten Auge auf. Yogamatten, Schweiß, Frisierstühle, Spiegel. Und der mysteriöse Yogi in der ersten Reihe, mit dessen Erscheinen die Zeremonie ihren Höhepunkt erreichte. Ehrfurcht packt mich, wenn ich daran zurückdenke, aber auch die Sehnsucht danach, noch einmal in diesen wunderbaren Zustand zu gelangen. Ob es wirklich passiert ist oder nur ein Traum war, spielt da am Ende auch gar keine Rolle. An meiner Frisur hatte sich in dieser Nacht leider nichts verändert. Namaste.

PS: Doina unterrichtet jeden Donnerstag in den Räumen von Stinauer Friseure eine Klasse. Bei Interesse kannst du dich telefonisch bei ihr anmelden: 0151 40417967.

 

Fotos: YOGADUDE