Krise als Chance – mein persönlicher Frühjahrsputz

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Ghost Town Season.

Gerade bin ich wieder vom Yogastudio zurückgekommen. Spät, wie jeden Tag in dieser Woche. Ich habe das Auto genommen, weil es geregnet hat. Und weil ich keine Lust hatte, mich mit anderen Menschen in eine mollig warme Blechbüchse unter der Erde zu zwängen. Der Verkehr war – genau wie die Parkplatzsuche – kein Problem, selbst für einen Samstagabend. München ist seit heute eine Geisterstadt. Irgendwie ist es auf einmal ganz still geworden, alle sind zuhause und die meisten sind auch gerne dort. Da, wo Menschen gezwungenermaßen aufeinandertreffen, halten sie auffällig viel Abstand zueinander. Auch ich mache das ganz automatisch so, selbst wenn ich mir das Yogastudio nur mit einer weiteren Person teile, weil wir jetzt über YouTube unterrichten. Wenn ich abends dann nach Hause zu meiner Familie komme, muss ich (nach einer therapiewürdigen Handwasch-Session) erstmal ganz bewusst wieder auf körperliche Nähe umschalten. Allein, allein. Falls ich gerade die Zeit hätte, ein Musikalbum zu schreiben (falls ich jemals wieder dafür Zeit hätte) – „Ghost Town Season“ wäre ein richtig guter Titel für die Scheibe.

Die Show ist vorbei.

So langsam sind dann auch alle Witze über Corona gemacht worden. Und ich finde, dass ich ein paar ganz gute dazu beisteuern konnte. Klar, ich habe auch daneben gehauen. Zum Beispiel, als ich wegen rassistischer Anfeindungen, Ausgangssperren und Versammlungsverboten einen Vergleich mit der Situation im Jahr 1933 gemacht habe. Das war dann doch etwas drüber (sorry). Aber hier in Bayern war die Stimmung wegen der anstehendenden Kommunalwahlen und der omnipräsenten AfD ohnehin etwas angeheizt in diese Richtung. Kann ja mal passieren. Aber jetzt wurde aus dem ganzen vermeintlichen Spaß ohnehin bitterer Ernst. Schulen und Kindergärten sind fünf Wochen lang geschlossen. Wenn du keine Kinder hast, ist dir das wahrscheinlich relativ egal. Wenn du aber zweifacher Vater bist, fällt dir auf, dass du nun deinen gesamten Jahresurlaub für die Betreuung der lieben Kleinen opfern musst (was du während der Schließungen im Sommer und Weihnachten machst, kannst du dir in der Zeit dann ja überlegen). Außerdem sind Sport- und Freizeiteinrichtungen wie z.B. Yogastudios mindestens zwei Wochen lang geschlossen. Das ist für den Otto-Normalyogi nicht wirklich schlimm (er hat ohnehin nicht mehr viel Lust, sich in einem warmen Raum voller schwitzender Fremder aufzuhalten). Als Yogalehrer ist das aber ein massives Problem – weil du in dieser Zeit kein Geld verdienst Klarer Vorteil: Du hast jetzt mehr Zeit für die Kinder.

The Show must go on.

Ich schätze, es gibt auf der Welt ungefähr zwei Milliarden Kameras. In Camcordern, Spiegelreflexkameras, Handys, Tablets, Laptops und so weiter und so fort. Und ich schätze auch, dass ungefähr 1,99 Milliarden davon seit dieser Woche dazu benutzt werden, Yogaklassen live ins Internet zu streamen. Als hätten wir nur alle darauf gewartet! Seit spätestens Mittwoch ist jedes anständige Yogastudio ein Yoga-Fernsehstudio. Und so versuchen wir Yogalehrer nicht nur, unseren SchülerInnen den Alltag in der Isolation etwas angenehmer zu machen, sondern auch, uns selbst finanziell über Wasser zu halten. Ich konnte mich als Blogger fast vier Jahre lang äußerst erfolgreich dagegen wehren, auf Video aufgezeichnet zu werden. Aber ein klitzekleines (zugegeben äußerst tödliches) Virus genügte mir, um innerhalb von 24 Stunden einen eigenen YouTube-Kanal mit Live-Übertragungen an den Start zu bringen. Ich kann nach ein paar Tagen noch kein Fazit zu der ganzen Online-Yoga-Sache bei SHIVA SHIVA YOGA ziehen – aber unsere Yogis supporten uns auch online und wir sind (als kleines junges Yogastudio) weiß Gott froh darüber. Allerdings sehne ich mich schon jetzt wieder nach einer Zeit, wo ich nicht rund um die Uhr damit beschäftigt bin, mein Studio zu retten und mich einfach auf meinen Unterricht konzentrieren kann.

Was raus muss, muss raus.

Es ist überhaupt so interessant, was die Krise mit uns anstellt. Die einen müssen plötzlich auch in einem leeren Raum vor der Kamera funktionieren. (Ich bin übrigens beeindruckt davon, wie selbstverständlich das jetzt alle Yogalehrer machen.) Die anderen sind sich nicht zu fein, beim Discounter 2.000 Rollen Klopapier und den gesamten Lagerbestand an Handwaschseife aufs Kassenband zu legen. (Eigenbedarf. Bis 2025.) Ich habe zwar nicht wirklich viel Zeit zum Innehalten im Moment. Aber ich beobachte die Menschen und die Situation und es zeichnet sich eine Art zwischenmenschlicher Frühjahrsputz bei mir ab. Das Endergebnis verschiebe ich auf das Ende der Pandemie. Doch bereits heute habe ich viel über die Leute um mich herum gelernt:

1. Die Familie
Meine Frau, unsere Kinder und ich haben uns relativ gut organisiert. Klar, die Kinder vermissen ihre Freunde und wir vermissen die Kindergartenzeit, in der wir normalerweise arbeiten. Aber Stand heute (nach einer von fünf Wochen) gibt es noch keine Pläne, sich gegenseitig umzubringen (hoffe ich). Was mich allerdings richtig geflasht hat, ist die Unterstützung durch den Rest meiner Familie. Ich will da nicht ins Detail gehen (zu privat), aber ich habe mal wieder gelernt, dass Blut einfach dicker als Wasser ist. Family first, Baby.

2. Die Freunde
Meine Freunde haben fast alle selbst kleine Kinder und werden deshalb auch in einen Strudel aus Home Office, Home Schooling und Home Arrest gerissen. Trotzdem haben sich genau die zuerst gemeldet, auf die ich mich schon seit Jahrzehnten verlassen kann. Und ich weiß jetzt einmal wieder, warum.

3. Die Kollegen
Als das Thema Online-Yogaklasen aufkam, war ich nicht unbedingt begeistert. Wie gesagt: Ich spreche nicht gerne in eine laufende Kamera. Aber die SHIVA SHIVA YOGA Crew wollte das unbedingt machen – also haben wir das einfach durchgezogen. Und ich bin meinen wunderbaren Yogalehrer-KollegInnen unendlich dankbar dafür, dass sie mich quasi dazu gezwungen haben, über meinen Schatten zu springen. 

4. Die Konkurrenz
Es ist kein Geheimnis, dass es im Yogabusiness nicht besser zugeht als in anderen Branchen. Um so mehr freut es mich, dass die Yogastudios untereinander so respektvoll und offen miteinander umgehen. Wir tauschen uns regelmäßig aus bezüglich Technik und Organisation und diese schwere Zeit lässt sich gemeinsam nicht nur besser durchstehen, sie bringt uns Konkurrenten irgendwie näher.

5. Die Partner
Stell dir vor, du musstest dein Yogastudio schließen, innerhalb kürzester Zeit auf Online-Klassen umstellen und die ersten SchülerInnen melden sich für deine Kurse an. Aber dein wichtigster Abrechnungspartner nutzt die Situation, um dir sein bevorzugtes Abrechnungssystem aufzuzwingen, gegen das du dich schon mal ganz bewusst entschieden hast. Genau das ist diese Woche passiert. Und weil besonders ich am kürzeren Hebel sitze, spiele ich erstmal mit, so lange dieser „Zustand“ andauert. Trotzdem: Diese Sache stinkt zum Himmel (Details folgen in diesem Blog).

Den Umständen entsprechend.

Corona ist mehr als ein Virus mit einem lustigen Namen. Corona ist eine große Lektion für uns alle. Darüber, wie angreifbar unsere – sonst selbstverständliche – Gesundheit plötzlich ist. Darüber, wie irrational und asozial wir uns im Angesicht der vermeintlichen Gefahr verhalten. Und darüber, wie schnell wir uns den sich ständig ändernden Gegebenheiten anpassen und wie viel wir leisten, um das zu erhalten, was uns etwas bedeutet. Eigentlich hätte diesen Samstag das erste große SHIVA SHIVA Crew Event stattfinden sollen. Mit großer Teambesprechung im Studio, gemeinsamem Abendessen und anschließendem Clubbesuch. Und ich habe mich wirklich schwer damit getan, das abzusagen (noch bevor es dann sowieso unmöglich wurde). Weil ich dieses Studio liebe und will, dass wir Lehrerinnen als Gruppe enger zusammenwachsen. Uns kennenlernen, austauschen und noch unbeschwerter miteinander umgehen. Und zuerst dachte ich, dass Corona uns hier eine Chance nimmt, dieses Ziel zu erreichen. Doch genau das Gegenteil ist eingetreten: Die extreme Situation mit den ständigen Anpassungen und dem Stress der Online-Klassen (es ist so krass anstrengend – auch dazu bald mehr) lässt uns als Menschen – trotz der 1,5 Meter Abstand – zusammenwachsen. Und wenn mein emotionaler Frühjahrsputz in ein paar Wochen zu Ende ist, weiß ich, dass ich vielleicht den einen oder anderen Geschäftspartner weniger habe. Aber dafür vielleicht den einen oder anderen Freund mehr, mit dem ich auch in Zukunft durch jede Krise komme. Bleibt gesund. Namaste. 

Fotos: Liza „2x Happy Birthday“ Meinhof


2 responses to “Krise als Chance – mein persönlicher Frühjahrsputz”

  1. Annette Avatar

    Hi. So ehrlich und so wahr geschrieben.
    Kann ich eins-zu-eins übernehmen…

  2. stefanie Avatar
    stefanie

    Ich bin meinen Lieblingsyogastudios so dankbar, dass sie diese Streams möglich machen! Und habe in meinem Wochenplan jeden Tag (mindestens) eine Yogastunde, schön verteilt über die kleinen Studios, die ich sonst auch so gern besuche. Weil man da nicht das Gefühl hat, ein Rädchen in einer Asana-Fabrik zu sein, sondern es jedes Mal ein bisschen wie nach Hause kommen ist. Und im Moment ein nach Hause kommen, obwohl man schon zu Hause ist – virtuelle Umarmung.