Mein Leben mit Yoga – Die Fastenzeit

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Geplante Auszeit

Einmal im Jahr gönne ich meinem Körper so etwas wie eine kleine Auszeit: 46 Tage ohne Alkohol und Süßigkeiten. Normalerweise nutze ich die schöne christliche (!) Tradition der Fastenzeit, also den Zeitraum zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag dafür. Besonders nach dem Umzug nach Bayern kommt das sicher auch bei den Nachbarn ganz gut an. Da aber unglaublich viele Geburtstage von Freunden und Familienmitgliedern in diesen Zeitraum fallen und ich auch nicht päpstlicher sein will als der Papst, habe ich dieses Jahr schon nach Dreikönig (immerhin ein bisschen päpstlich) damit begonnen, systematisch zu entgiften.

Gefühlte Veränderung

Dass Alkohol und Zucker nicht gesund sind, weiß ich natürlich spätestens seit der Grundschule. Aber es überrascht mich jedes Jahr (nein, ich bin nicht besonders lernfähig, weiß ich auch seit der Grundschule), dass sich mein Körper schon nach einem Tag anders anfühlt. Besser, fitter, reiner. Der böse Zucker ist wohl wirklich böse und die Wirkung von Alkohol finde ich auch nur abends interessant, am nächsten Morgen eher lästig (vong Verkaterung her). Dabei ist der Alkoholentzug übrigens für mich das kleinere Problem, auf Süßes zu verzichten, macht mich wirklich fertig. Ich bin auch relativ streng mit mir: Neben Schokolade, Bonbons und Kuchen lasse ich auch Zucker im Kaffee oder gesüßte Joghurts und Getränke weg. Und weil ich mich garantiert selbst austricksen würde, steht Knabberkram (Chips, Flips und Co.) ebenfalls auf der Verbotsliste. So sieht’s aus, sechs lange Wochen lang. Und dann noch mal vier fucking Tage.

 

Gewollte Geißelung

Warum ich das mache? Zum einen geht es mir um einen „Reset“ für meinen Körper. Wäre ich konsequenter (ach, wäre ich doch nur konsequenter), würde ich „richtig“ fasten, also komplett auf feste Nahrung verzichten und so. Aber schon das Weglassen von zugesetztem Zucker (ich spreche nicht von Fruchtzucker oder Zucker in „normalen“ Lebensmitteln) macht sich körperlich bei mir bemerkbar. Neben dem besseren Körpergefühl spürt man das auch auf der Waage, ich verliere in den 46 Tagen jedes Mal ganz automatisch vier bis fünf Kilo an Körpergewicht. Das ist ein netter Nebeneffekt. Nicht ganz so nett hingegen ist die Wirkung meines sozialen Umfeldes auf mein Fasten. Statt mir nämlich ermutigend auf die Schulter zu klopfen, schlägt mir häufig Unverständnis entgegen. Besonders beim Feiern ist es  auch echt lästig, als einziger nüchtern zu sein. Alle unterstellen dir ein Alkoholproblem und/oder Führerscheinentzug und irgendwann hältst du das besoffene Geschwätz der Trinker einfach nicht mehr aus. Weil du selbst nicht trinkst, sonst wären das natürlich die tiefgründigsten, geistreichsten Konversationen deines gesamten Daseins.

Und was hat das mit Yoga zu tun?

Einiges. Viele überzeugte Yogis sind ja quasi Dauerfaster, verzichten auf Fleisch oder ernähren sich gleich vegan. Gegen die bin ich so etwas wie ein Alkoholiker, der morgens auch mal einen Kaffee trinkt. Und Alkohol sowie andere Drogen sind im Yoga ebenfalls eher verpönt. Dafür gehören Reinigungsrituale für den Körper genauso zur Praxis wie die Rituale, mit denen wir unseren Geist in Ordnung halten (z.B. Meditation). Bekanntermaßen bin ich kein ultraorthodoxer Yoga-Hardliner, aber das Fasten wirkt sich bei mir doch ziemlich aus: Ich bin körperlich leistungsfähiger und komme morgens besser aus dem Bett, das merke ich in meiner Asanapraxis. Und irgendwie lässt mich der Verzicht auch ruhiger werden, ich denke mehr nach und bin etwas (nur ein bisschen) introvertierter als sonst. Und das ist es ja eigentlich auch, was die Fastenzeit im Christentum bewirken soll, in sich gehen, Buße tun.

Persönlicher Lerneffekt

Es geht mir persönlich beim Fasten nicht nur ums Entgiften oder ums Bußen, sondern eher darum, Verzicht zu üben. Wie fast alle Leute, die ich kenne, lebe ich im absoluten Konsumwohlstand. Wenn ich was will, kann ich es (fast immer) haben. Wir können uns nicht mehr vorstellen, wie es ist, auf etwas verzichten zu MÜSSEN (und ich meine damit nicht, dass wir keine Kohle für das neue iPhone haben). Alles ist immer und überall verfügbar. Wer von Berlin nach München zieht, ist schon empört, dass es keine Spätis gibt und man am Sonntag keine Windeln einkaufen kann. First world problems in einer Zeit, in der Millionen Menschen auf der Flucht leben, bombardiert werden und/oder keinen Zugang zu Trinkwasser (oder den USA) haben. Das Fasten hilft mir am meisten dabei, an die zu denken, die nicht so privilegiert sind wie wir. Denn, wenn ich ehrlich bin, denke ich nicht so oft an diese Menschen, wie ich es wahrscheinlich sollte. Und wenn es dafür nötig ist, ein paar Wochen kein Bier zu trinken, ist das ein lächerlich geringer Einsatz. Namaste.

 

PS: Was mich nicht mehr überrascht ist, wie sich beim Fasten mein Geschmackssinn verändert. Süßigkeiten aus industrieller Herstellung (z.B. Schokoriegel) schmecken nach der Fastenzeit einfach nur nach Fett und Zucker und alles andere als gut. Das legt sich aber ziemlich schnell wieder.

Fotos von Liza-Anneth Meinhof 🙂

 


5 responses to “Mein Leben mit Yoga – Die Fastenzeit”

  1. Bettina Vogt Avatar

    Ich habe einen superguten Blogbeitrag eines symphatischen Yogis gelesen. Yogis sind halt auch nur Menschen 😉

    1. Yogadude Avatar
      Yogadude

      Liebe Bettina, vielen lieben Dank für die Blumen. Das tut so gut 🙂

  2. GemueseBiest Avatar
    GemueseBiest

    Toller Beitrag! Ehrlich und witzig wie immer – eine super Kombination 🙂

    1. Yogadude Avatar
      Yogadude

      <3

  3. Daniel Trayer Avatar
    Daniel Trayer

    Dieser Beitrag inspiriert mich, auch mal (ernsthaft) eine zeitlang auf Schokolade & Co. zu verzichten … und auch auf Kaffee … Habe selbst schon einige Male Heilfasten ohne feste Nahrung praktiziert. Mal ging es mir gut dabei, mal weniger gut. Deshalb mache ich solche “krassen” Sachen ohne feste Nahrung nicht mehr. Lieber mal Dinkelfasten oder Basenfasten … oder jetzt vielleicht mal Süßes und Kaffee weglassen … Danke für den tollen Beitrag. Ich lese gerne mehr von Dir …