Auf immer und ewig – Yoga und Tattoos

Es gibt keine dummen Fragen. Oder?

Dämliche Fragen gibt es angeblich ja nicht, aber es gibt schon extrem witzige Fragen. Die wahrscheinlich lustigste Frage, die ich in einem Interview beantworten durfte, lautete: Muss man als Yogi tätowiert sein? Das war natürlich nicht ganz ernst gemeint, aber als Außenstehender könnte man schon auf den Gedanken kommen. Als Yogalehrer habe ich einen recht guten Überblick und auf mindestens jeder zweiten Matte wird mittlerweile durch dauerhaft bemalte Haut geschwitzt. Das hat aber erstmal nichts mit Yoga zu tun. Tätowierte findet man auch beim Fußball, Kegeln oder Tontaubenschießen. Tattoos sind nicht mehr Seeleuten und Häftlingen vorbehalten, sie sind so Mainstream wie Helene Fischer. Trotzdem hat man doch das Gefühl, dass überdurchschnittlich viele Yogis ihre Haut unter Schmerzen verschönern lassen. Und höchstwahrscheinlich sehen wir in der Yogaklasse sogar nur die Spitze des Eisbergs, weil man trotz der schweißtreibenden Hitze doch noch relativ großflächig verhüllt bleibt. Ein Eisberg wäre übrigens mal ein eher selten gesehenes Tattoo-Motiv, dass hervorragend zu winterlicher Mozzarellahaut passt.

Ich sehe Farben!

Im spirituellen Yogaumfeld lassen sich Tattoos sogar für gesellschaftliche Studien nutzen. So wie wir uns manchmal über die Badezimmerfliesen aus unserer Kindheit wundern (braun!), ändert sich offensichtlich auch der Geschmack in Sachen permanente Hautumfärbung. Ich habe mir Ende der 90er eines dieser chinesischen Schriftzeichen auf den Oberarm stechen lassen, bei denen man weder weiß, was sie wirklich bedeuten, noch ob sie vielleicht auf dem Kopf stehen. Das würde ich heute wohl nicht mehr so machen, ist aber so. Oder auch der Klassiker, den jeder Yogalahrer spätestens in der stehenden Vorwärtsbeuge zu sehen bekommt: Das gute alte Arschgeweih. Vor 20 Jahren eine Riesennummer, am besten drei- oder vierstöckig bis knapp unter die Schulterblätter ausgebaut. Und heute? Schon mehr als einmal habe ich am Rücken oberhalb der Gürtellinie einer Schülerin die verräterischen Reste entdeckt, die der Laser nicht ganz tilgen konnte.

Geschmack ändert sich. Tinte bleibt.

Als unübersehbar Tätowierter haben sich auch bei mir die Bilder unter der Haut mit den Jahren gewandelt. Von der China-Initiale (angeblich: „Schlange“) hin zu eher spirituellen Motiven: Buddhismus und Hinduismus, Christentum und Islam, friedlich vereint in den Tiefen meiner Epidermis. Dazu eine Art Reisetagebuch, das mich an meine Lieblingsorte erinnern wird, wenn meinem Hirn endgültig der Saft ausgeht: Die Herzensorte Berlin, Lissabon und Barcelona sind schon verewigt, ein paar kommen wohl noch dazu. Und wie bereits erwähnt: Für ein Arschgeweih konnte ich mich als Mann zum Glück nicht begeistern. Ich trage aber ebenfalls ein „Tribal“-Tattoo, das mir heute etwas unangenehm ist. Nicht peinlich, nur unangenehm. Und zeigen will ich es auch nur in der Sauna (weil ich muss).

Okay: Was soll das?

Ich denke, jeder hat seine eigene Motivation, Geld dafür zu bezahlen, um sich mit einer Nadel verletzten zu lassen. Bei mir sind es im Wesentlichen drei Motive, die mich immer wieder zum Tätowierer treiben:

1. Ich will etwas zeigen.
Tattoos sind Schilder, Schilder mit einer Nachricht. Die indirekte Message ist: Schau her, ich bin tätowiert und das geht nicht mehr so einfach weg. Die direkte Aussage ist dann das Tattoo selbst: Ein „Om“ auf dem Handgelenk sagt z.B., dass man Yogi ist.

2. Ich will mich erinnern.
Der größte Nachteil einer Tätowierung ist auch der größte Vorteil. Sie bleibt in der Haut, selbst mit einer schmerzhaften Laserbehandlung lässt sie sich nicht restlos entfernen. Und damit bleibt auch die Erinnerung an etwas und sei es nur die Zeit, in der man das Arschgeweih super sexy fand.

3. Ich will mich verändern.
Auch wenn ein Tattoo mittlerweile ungefähr so individuell ist wie eine Zahnbürste: Ich bin gerne anders und etwas Farbe in der Haut ist Teil der visuellen Umsetzung dieses Gedankens. Mein Tattoo lässt mich anders aussehen. Aber macht es mich wirklich anders?

Außen hui, innen erst recht.

Ich mag Tattoos aus einem einzigen Grund: Egal, wie schlecht sie aussehen, egal wie peinlich das Motiv – sie bleiben Teil dessen, der sie trägt. Ein Tattoo ist eine der wenigen Entscheidungen mit wirklich langfristigen Konsequenzen. Eine üble Frisur wächst raus, eine inakzeptable Wohnung kann man wieder verlassen. Aber ein zugehackter Arm? Bleibt wie er ist. Und das macht für mich auch das Arschgeweih so wahnsinnig sympathisch: Heute sehe ich beim Yoga Mütter in ihren 40ern, die sich im Downdog das Top in die Hose stopfen, um ihren unteren Rücken zu bedecken. Dabei sollten sie stolz darauf sein, vor 20 Jahren so jung und wild gewesen zu sein, dass sie sich tätowieren ließen! Denn irgendwo in ihnen steckt noch das schlecht frisierte 90er-Jahre-Partygirl und trinkt Wodka-Red Bull. Und da kann es ja gerne auch bleiben, es hat sich auf der Tanzfläche zu inakzeptabler Musik ausgetobt und ist erwachsen geworden. Damit schließt sich für mich persönlich auch der Kreis zum Yoga: Weil ich mich auf Yoga eingelassen habe, weil ich es intensiv erlebe, habe ich eine langfristige Entscheidung getroffen. Mein Leben ist – dank Yoga – jetzt ein anderes. Und selbst wenn ich sofort damit aufhöre, habe ich für den Rest meines Lebens die Erinnerung daran, dass Yoga ein Teil dessen ist, was mich ausmacht. Genau wie mein peinliches kleines Tribal-Tattoo. Namaste.

Fotos: Liza „untätowiert ist das neue tätowiert“ Meinhof.