Das Yogawort zum Sonntag – Wurzeln

Endlich wieder Parkplätze.

Mit das Beste an Weihnachten in Berlin ist die Parkplatzsituation, denn spätestens an Heiligabend sind Bezirke wie Kreuz- oder Prenzelberg quasi entvölkert. Schwäbische Vegan-Hipster und bayerische Startup-Wunderkinder zieht es über die Feiertage zurück in die Provinz, eingeborene und zurückgebliebene Berliner genießen die freie Parkplatzwahl und sind endlich mal unter sich. Als gebürtiger Badener kenne ich das weihnachtsleere Berlin nur aus Erzählungen. Als wir mal erst an Heiligabend zu den Eltern geflogen sind, konnte ich aber zumindest erahnen, wie wenige Menschen wirklich das Fest der Liebe in der Hauptstadt verbringen. Und irgendwie muss es ja ganz schön sein, wenn man die Stadt für sich hat – allerdings hat man einen ähnlichen Effekt, wenn man morgens vor 8:00 Uhr durch ein verkatertes Neukölln läuft. Also mal von den Parkplätzen abgesehen.

Endlich wieder Kind sein.

Auch „zugroaste“ Münchner wie wir packen die Familien Ende Dezember in den Kombi, um nach biblischem Vorbild zu ihren Geburtsorten zurück zu kehren. Wo wir endlich die WLAN-Router unserer Eltern aktualisieren und mal wieder so richtig Kind sein können. Ich habe fast meine komplette Kindheit in Rheinstetten-Forchheim – einem Vorort von Karlsruhe – verbracht. Und obwohl ich hier schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr lebe, ist mir noch immer alles urvertraut. Spielplatz, Schule, Sportverein – jeder Ort hat seine kleine Geschichte in meinem Kopf und an jeder Ecke gibt es schöne (und auch eine Handvoll weniger schöne) Erinnerungen. Ich bin gerne hier, nicht nur an Weihnachten. In Rheinstetten-Forchheim habe ich meine Wurzeln, an diesem Ort bin ich aufgewachsen und zum Großteil zu dem geworden, was ich noch heute bin (inklusive des wunderbaren, jederzeit abrufbaren Dialekts).

Endlich wieder Yoga.

Auch als Yogi sind mir meine Wurzeln ganz besonders bewusst. Das beginnt am unteren Ende meiner Wirbelsäule mit dem Wurzelchakra Muladhara, das – wenn es blockiert ist – ein Gefühl der Heimatlosigkeit auslösen soll. Aber nicht nur auf Chakra-Ebene ist die Verwurzelung für Yogis essenziell: Auch in der Asana-Praxis kommen wir nur mit einer starken Verbindung zum Boden in den Genuss voller Kraftentfaltung. Jede Haltung erhält von unten her ihre Festigkeit, mit starken Füßen oder – bei Umkehrhaltungen – auch Händen und Handgelenken. Ein guter Yogalehrer korrigiert die Haltungen seiner Schüler daher von unten nach oben, nur mit einem starken Fundament kann oben volle Kraft entstehen.

Endlich wieder Berlin.

Pünktlich zur großen Weihnachtsreisewelle bin ich diese Woche noch mal nach Berlin gefahren, um Menschen zu treffen und ganz viel Yoga zu praktizieren. Und auch wenn ich meine Wurzeln im Badischen habe, fühlt es sich auch ein bisschen nach Heimkommen an, wenn ich ins dicke B fahre. Meine Yogiwurzeln habe ich ja erst hier entwickelt, eher spätberufen in einem Lebensabschnitt, in dem ich mich ein bisschen davor fürchte, mich gar nicht mehr zu weiter zu entwickeln.

Und egal, wie weit ich mich von denen geografisch entferne, Berlin ist meine Yogiheimat und wird es wohl für immer bleiben. Interessanterweise habe ich das Gefühl, dass ich die Stadt noch mehr liebe, seit wir nicht mehr in ihr Leben. Der Besuch diese Woche war auf jeden Fall eine einzige Aneinanderreihung von Herzensmomenten, die so gar nicht zur kühlen, schnippischen Art der Haupstadt passen wollen.

Endlich wieder angekommen.

Obwohl es mich (und meine Familie) regelmäßig zurück nach Börlin zieht, wollen wir gerne in München bleiben. Wir sind ein paar Mal zu oft umgezogen und ich fühle mich langsam wie entwurzelt und mehrmals umgetopft. Es reicht jetzt, vor allem mit Kindern ist der spontane Wohnortwechsel nicht mehr ohne Weiteres machbar. Wir Erwachsenen hatten ja zum Glück schon ein paar Freunde in Bayern, unserem Sohn hat der Umzug aber ganz schön zugesetzt. Raus aus seinem Umfeld und rein in ein neues. Mit neuer Wohnung, neuer Stadt und neuem Kindergarten. Er soll hier die Möglichkeit bekommen, eigene Wurzeln zu schlagen, zu denen er in 20 Jahren zumindest an Weihnachten zurückkehren kann. Wo er ein starkes Fundament hat, das ihn durch Leben trägt, ohne das rastlose Gefühl von Heimatlosigkeit. Wir wollen ihm ein Zuhause bieten, das mehr ist als eine Wohnung und ein Kindergartenplatz.

Endlich wieder weiterwachsen.

Wir reden über unsere Wurzeln, als wären es echte, physische Wurzeln, dabei ist es ja im Grunde eine Metapher. Aber eine verdammt gute, wenn man sie zu Ende denkt. Denn genau wie ein Baum wachsen wir nicht einfach irgendwann aus unseren Wurzeln heraus nur nach oben. Unsere Wurzeln wachsen gleichzeitig immer weiter in alle Richtungen in den Boden, dort wo wir gerade sind. Immer fester sind wir mit den Jahren am Status Quo verwurzelt. Aber im Gegensatz zum Baum können wir uns von unseren alten Wurzeln trennen, ohne sie zu zerstören. Die Wurzeln bleiben einfach an diesem Ort zurück und warten bis wir Weihnachten zurückkehren. Nach Rheinstetten-Forchheim zu den Eltern oder nach Berlin zum Yoga. So wachsen uns im Laufe unseres Lebens Wurzeln an verschiedenen Orten, wo wir dann immer einen sicheren, festen Halt finden, wenn wir gerade da sind. Frohe Weihnachten und Namaste.

Fotos: Liza Meinhof