Bloß nicht abheben – so behältst du als Yogi deine Bodenhaftung

I am flying.

Wir Yogis neigen ja dazu, über den Dingen zu schweben: In der Meditation, beim geschmeidigen Asanas üben und – irgendwann – auch im täglichen Leben. Besonders jetzt, zum Ende meiner Yogalehrerausbildung, habe ich das Gefühl, manchmal den Bodenkontakt zu verlieren. Wir arbeiten da sehr intensiv an uns selbst, um hinterher als Lehrer zu verstehen, wo die Reise hingehen soll. Es ist aber auch so kuschelig in der Yoga-Bubble: Der Geist kommt zur Ruhe, Probleme werden ignoriert und überhaupt muss die Realität leider draußen bleiben. So Schön. Ooooooommmmmmmm.

Erde an Yogadude, bitte melden!

Auch wenn es ein großer Luxus ist, diesen Yoga-Trip zu machen, ist es als zweifacher Familienvater nicht zwingend die beste Idee, den Boden der Tatsachen dauerhaft zu verlassen. Weltoffen? Ja, gerne. Weltfremd? Besser nicht. Falls es dir genau wie mir geht und du langsam das Gefühl hast, dich von der „echten“ Welt zu entfremden, solltest du zwingend an deiner Bodenhaftung arbeiten. Als Teil deiner erweiterten Yogapraxis, sozusagen. Nach dem letzten Wochenende im Teacher Training ist mir das wieder ganz besonders bewusst geworden. Aber zum Glück kenne ich einige praktische Übungen, die mich auf meiner Reise zur Erleuchtung fest geerdet halten.

So behältst du beim Yoga deine Bodenhaftung:

1. Putz die Wohnung.

Schon alleine die gebückte Haltung am Boden hält dich vom Schweben ab. Und wenn du Kinder hast, ist es auch besonders lustig: Man findet überall kleine Überraschungen. In den Couchritzen, unterm Kopfkissen oder unter der Toilettenschüssel. Meist ist es Halbverdautes oder – noch schlimmer – gänzlich Undefinierbares. Bäh.

2. Geh ins Fußballstadion.

Alle gesellschaftlichen Schichten gehen ins Stadion. Und unabhängig vom sozio-demografischen Hintergrund verlieren alle Stadionbesucher selbst die grundlegendsten Benimmregeln. Wenn du befürchtest abzuheben, mach‘ es wie ich und schau dir ab und zu ein Drittligaspiel an. Die Champions League der Bodenhaftung.

3. Schau Fernsehen.

Ich spreche nicht von einer hippen US-Serie auf Netflix, sondern von richtig üblem Privatfernsehen. RTL 3 oder 4. Wir haben zwar keinen Fernseher mehr zuhause (ich fühle mich so intellektuell, wenn ich das schreibe), aber kürzlich habe ich in einem Hotelzimmer am Vormittag Fast & Furious 8 gesehen. Toller Film, aber spirituell nicht besonders gehaltvoll.

4. Nimm am Straßenverkehr teil.

Okay, bringt mich regelmäßig an meine yogischen Grenzen und häufig weit darüber hinaus. Wenn ich Auto fahre, ist es am schlimmsten (Kann es eigentlich wirklich sein, dass jemand den Führerschein in der Lotterie gewonnen hat?), deshalb nehme ich meistens das Fahrrad (ebenfalls dramatisch). Aber auch die Öffentlichen, die in München leider auch nicht richtig funktionieren, machen mich wahnsinnig. Waaaaaaahhhhh!

5. Besuche ein Rockkonzert.

Und zwar ohne VIP-Ticket oder Backstage-Pass. Stell dich mit den 2.000 anderen schwitzenden Leibern in die Hitze, lass dich mit Bier und Schweiß vollspritzen und komm damit klar, dass du dir eher in die Hose machst, als deinen hart erkämpften Platz in der 20. Reihe aufzugeben. Nur um das Konzert auf dem Smartphone-Display deines Vordermanns zu verfolgen.

6. Fahr zu den Eltern.

Auch wenn ich schon vor 20 Jahren weggezogen bin, liebe ich meinen Heimatort Rheinstetten-Forchheim. Und immer, wenn ich dort bin, spreche ich automatisch im härtesten badischen Dialekt und habe das Bedürfnis, im Fußball-Clubhaus „mit den Jungs“ Asbach-Cola zu trinken. Prosit!

7. Iss ein Mettbrötchen.

Oder von mir aus ein blutiges Steak. Selbst wenn du kein Vegetarier bist, fühlst du dich als Yogi schuldig.

8. Trink ein Bier zu viel.

Ab und zu darf man das auch als Yogi tun. Und du wirst dabei eventuell auf etwas unyogische Gedanken kommen und den Kater am nächsten Morgen bereuen. Unterstützend kannst du auch gleich noch rauchen…

9. Mach deine Steuererklärung.

Ohne Worte. Kleiner Tipp am Rande: Am 31.5. ist Abgabefrist.

10. Spiel mit deinen Kindern.

Nichts, aber auch gar nichts wird dich mehr erden. Verpsrochen. Kindern ist es nämlich herzlich egal, wie weit du dieses Wochenende auf deiner spirituellen Reise gekommen bist. Sie wollen einfach nur Zeit mit ihrem Papa (bzw. ihrer Mama). Und die holen sie sich lautstark und notfalls mit Gewalt.

Heimkommen ist Ankommen.

Nach jedem Yogalehrer-Ausbildungswochenende schwebe ich am Sonntagabend verschwitzt und verheult nach Hause. Dort umarme ich meine Familie und erkläre ihnen mit sanfter Stimme, wie sehr ich sie liebe und wie schlimm ich sie vermisst habe. Und jeder dieser Eso-Sonntage endet damit, dass ich mein schlechtes Gewissen (ich war ja das ganze Wochenende weg) beruhige, indem ich ein besonderes Wunsch-Abendessen zaubere. Also stehe ich nach dem Begrüßungs-Kuscheln mit seeligem Lächeln in meinen Yogaklamotten in der Küche und schäle Kartoffeln oder backe Pfannkuchen. Von der Herzmeditation in den Bratfett-Nebel, einfach Bodenhaftung pur. Aber nach dem Essen schaue ich dann in drei glückliche, satte und zufriedene Gesichter und denke mir nur: Schöner kann Karma gar nicht sein. Namaste.

Fotos: Liza Meinhof


2 responses to “Bloß nicht abheben – so behältst du als Yogi deine Bodenhaftung”

  1. Elvira Avatar
    Elvira

    Wow, dein Beitrag ist großartig und be-trifft mich so sehr… Danke für genau diese Wort in genau diesem Moment 🌟🕉 Wie oft gerate ich ins Zweifeln, Grübeln, Ver- und Beurteilen meiner Handlungen und erlaube mir diese Erdung gar nicht?! Es ist schön, jetzt das Thema mit deinen Augen zu betrachten 🎀🎁 Danke !

    1. Yogadude Avatar
      Yogadude

      Hey, ich freue mich, dass es dir so geht wir mir. Vielen Dank fürs Lesen und für deinen Kommentar, Thomas