Ein gefragter Experte.
Immer wieder bitten mich Leute aus meinem direkten Umfeld um Rat in Sachen Yoga. Das ist kein Wunder, schließlich bin ich ja laut Presse jetzt offiziell ein Experte dafür (Fake News? Lügenpresse?). Vorletzte Woche schrieb mich jedenfalls eine Freundin an, die vor ein paar Monaten mit Yoga begonnen hat, und fragte mich, ob das mit der Asanapraxis irgendwann einfacher werde. Neben den durchtrainierten 23-jährigen Gymnastik-Freaks in der Klasse fühle sie sich als Neueinsteiger irgendwie ungelenkig und diese eine spezielle Haltung bekomme sie wohl nie im Leben hin. Letzte Woche kam dann ein Bekannter auf mich zu. Er möchte unbedingt mit Yoga beginnen, fühlt sich dafür aber nicht beweglich genug. Er kann sich nicht mal im Schneidersitz hinsetzen, habe jetzt aber immerhin mal angefangen, das zu üben.
Gut, dass Sie gefragt haben!
Beiden Nachrichten liegt eigentlich dasselbe Problem zugrunde: Viele Leute denken, sie müssten superbeweglich sein, um Yoga zu praktizieren. Natürlich ein fataler Denkfehler: Das ist ja, als ob man superbesoffen sein müsste, um ein Bier zu trinken. Oder superreich, um Geld zu verdienen. Der körperliche Teil des Yoga macht es uns ja erst möglich, uns zu bewegen und so unseren Körper ganz neu zu erfahren. Und da hat jeder seine individuellen Herausforderungen: Kurze Sehnen, verspannte Muskeln, schiefe Knochen, was weiß ich. Die sanften Bewegungen beim Yoga können viel bewirken – müssen sie aber gar nicht. Yoga ist kein Kunstturnen. Alles, was man für die erste Yogaklasse können muss, ist Atmen und fünf Minuten Stillsitzen – letzteres nicht mal im Schneider-, Helden- oder Lotussitz. Meine Freundin und meinen Bekannten konnte ich damit zum Glück beruhigen.
Gestörte Wahrnehmung.
Das Problem bleibt: Viele Nogis (Nicht-Yogis) denken, man müsse Handstand, Lotus und Spagat beherrschen, um Yoga zu praktizieren, am besten alles gleichzeitig. An dieser Stelle gebe ich gerne zu: Ich bin Teil des Problems – weil ich auf Instagram Bilder von mir in (nicht ganz so spektakulären) Yogaposen veröffentliche. Aber im Endeffekt das sind nur Fotos, aufgenommen im Bruchteil einer Sekunde. Meine Asanas sehen offline manchmal richtig gruselig aus und das ist okay für mich. Yoga ist keine Competition, es gibt kein Gut oder Schlecht. Auf Instagram gibt es das dagegen schon. Natürlich will ich Werbung für Yoga und meinen Blog machen und natürlich soll das dann auch nach was aussehen. Um Yoga von seiner schönsten Seite zu zeigen und Lust darauf zu machen. Aber es ist kein Geheimnis: Die Fotos aus Instagram sind gestellt. Bei meiner Yogapraxis brauche ich meine Ruhe und will nicht ständig daran denken, dass ich fotografiert werde. Auch kein Geheimnis: So gut wie alle Yogi-Fotos im Netz sind mit Bedacht in Szene gesetzt und keine Momentaufnahmen einer spirituellen Erfahrung. Sorry, ist so.
Raus aus der Freakshow!
Yoga ist nichts mehr für Freaks, Yoga ist im Mainstream angekommen. Ich meine: Sogar Klamottenversender wie Zalando investieren relativ viel Energie in das Thema. Und auch ohne Instagram hat Yoga nicht viel mit gelenklosen Schlangenmenschen zu tun. Ich kenne zwar Yogis, die Unvorstellbares mit ihrem Körper tun können – in den meisten Fällen sind das aber Leute, die vorher jahrelang Ballett oder Kunstturnen trainiert haben. Ich kenne aber auch Yogis bzw. Yogalehrer, deren Praxis überhaupt nicht mega-auffällig ist und die in der Klasse (als Schüler) auch mal ein paar Asanas auslassen. Wenn die Profis das machen, sollte das für meine Freunde und mich als Amateure doch auch in Ordnung gehen, oder? Ich übe mittlerweile fast jeden Tag und trotzdem „gelingt“ mir nicht immer alles. Manchmal fehlt mir die Kraft, manchmal die Flexibilität. Und manchmal falle ich auch einfach um. Bumm. Aber ganz egal, was mein Körper mir gerade erlaubt – meinem Geist tut es immer gut.
So einfach knackst du jede Asana.
Aber auch wenn Yoga kein Wettbewerb ist, freut sich jeder über Fortschritte auf der Matte – beim Meditieren und bei den Asanas. Und mit einem kleinen Trick, kann man theoretisch jede auch noch so komplizierte Yogapose lernen: Mit Üben. Wenn man das wirklich will, kann man jeden Tag dieselbe, scheinbar unerreichbare Haltung üben. Den freien Handstand zum Beispiel. Ich bin mir ganz sicher, nach einem oder zwei Jahren kann man so jede Asana knacken. Dabei sollte man aber bitte auch auf den Körper hören und nichts tun, was weh tut. Der Lotussitz ist eine knifflige Sache und im Kopfstand kann man auch einiges kaputt machen. Aber eigentlich kannst du das auch lassen. Das einzige, was du beim Yoga nämlich verbiegen solltest, ist nicht dein Körper, sondern alles, was in deinem Kopf passiert. Dort musst du lernen, loszulassen und neue Positionen einzunehmen. Das sieht auf Instagram leider nicht ganz so cool aus wie das Geturne, aber so ist es nun mal. Namaste.
Fotos: Liza Meinhof
10 responses to “Lass dich nicht verbiegen – Yoga vs. Kunstturnen”
Bumm. Danke für diesen wunderbaren Beitrag.
Danke dir für‘s Lesen ❤️
Wunderbar geschrieben – und ein Lächeln in mein Gesicht gezaubert.
Danke
Sehr schön 🙂
Schön geschrieben. Und so wahr. Danke!
Vielen Dank für diesen Beitrat. Du machst mir Mut.
Ich mache schon oder erst seit einem halben Jahr Yoga.
Danke Elke
Cheers, dude! Und: Schon geil, wie auch hier wieder nur die Mädels zu lesen scheinen. Von den Kommentaren zu schliessen jedenfalls. Dude, where’s my male yogis? 😉
Endlich mal ein Beitrag eines männlichen Yogi ohne spektakuläre Asana, die nur noch mehr Geschlechtsgenossen abschreckt. Yoga ist ein Weg zur inneren Ruhe und zum geistig und körperlichen Gleichgewicht, doch selbstverliebte Hardcore-Asana-Selfies sind das Gegenteil. Würde mich riesig freuen, Yoga Männern näher zu bringen, da uns überwiegend der spirituelle und meditative Zugang zu uns Selbst verloren gegangen ist. Freunde und Bekannte trauen sich nicht in die Mädels-Yogaklassen, da sie dem Irrtum erliegen, besonders beweglich und gelenkig sein zu müssen. Leider hätten Männer in unserer Alphaltier-Gesellschaft die Sicht nach Innen besonders nötig.
In diesem Sinne müssen wir männlichen Yogalehrer noch sehr an unserer Zielgruppe arbeiten und überlegen, wie wir gestresste und unbewegliche Männer erreichen können. Danke für Deinen Beitrag
Namasté
Alexander
Hey, 2000 Dank für das Feedback – schön dass wir das ähnlich sehen!
[…] einen Frage für mich ein echter Erfolg. Denn es wird die nächsten sechs Monate nicht darum gehen, ein überkrasser Yoga-Artist zu werden, sondern Dinge zu hinterfragen. Dinge wirklich auf die Goldwaage zu legen und sie […]