Das Yogawort zum Sonntag – Davonlaufen

Körperliche Grenzerfahrung.

Das vergangene Wochenende habe ich mal wieder im Schwebezustand verbracht: Teil 4 (von 6) meiner Yogalehrerausbildung war angesagt, drei Tage mit guten Menschen, die langsam aber sicher zu Freunden werden. Drei Tage mit indischer Mythologie und Meditation, mit Anatomie, Massage und mit hartem körperlichem Workout. Wir Schüler üben natürlich an jedem Tag des Teacher Trainings zusammen und die Klassen sind – vorsichtig ausgedrückt – fordernd. Dazu kommt, dass sich ein künftiger Yogalehrer vor 69 anderen künftigen Yogalehrern ungern die Blöße geben möchte, eine Asana nicht annähernd perfekt auszuführen. Das ist zwar total unyogisches Wettbewerbsgedöns – aber hey: Wir sind auch nur Menschen, okay? Fakt ist: Sonntagabends bin ich körperlich fix und fertig.

Herzmuskelkater.

Es sind aber nicht nur die sichtbaren Muskeln, die drei Tage lang an ihre Grenzen geführt werden – auch unsere Herzen leiden an den Ausbildungswochenenden nicht unerheblich. Sowieso ging es ganz viel um Herzensthemen, Liebe und Berührungen dieses Mal und man hatte uns vorgewarnt, dass Tränen fließen könnten. Da ich in den letzten Jahren sowieso etwas nah am Wasser gebaut bin, habe ich zu meinem Körperschweiß natürlich auch noch etliche Liter Tränenflüssigkeit in die Matte ablaufen lassen. Diese ganze Sache scheint bei mir irgendwie außer Kontrolle zu geraten, aber immerhin sah es rechts und links von mir nicht anders aus. Ich denke, dass ist der Grund, warum niemand bei der Ausbildung zuschauen sollte: 70 erwachsene Menschen in Leggings beim Weinen zu beobachten, würde sicherlich verstörend wirken.

I can see clearly now.

Ein weiterer Effekt dieser Yoga-Intensivwochenenden ist, dass es immer neue Dinge gibt, die ich über mich lerne. Weil ich nicht unbedingt der reflektierteste Yogi der Welt bin, können das ganz offensichtliche Sachen sein. Am Samstag habe ich nach der Meditation zum Beispiel festgestellt, dass meine exzessive Laufsportphase vor vielen Jahren ein reines Davonlaufen war. Ich bin damals in den Wald gegangen, um vor meiner unglücklichen Beziehung weg zu laufen. Und habe es jahrelang einfach nicht kapiert. Sogar als die Beziehung dann beendet war, habe ich eine Art Abschlussritual durchgeführt. Verschwitzt, außer Atem und in Laufschuhen. 13 Jahre ist das her und jetzt merke ich das. Wie blind kann man denn sein? So langsam habe ich das Gefühl, dass ich ein leichtes Opfer für jede Art der Psychotherapie wäre.

Läuft nicht mehr bei mir.

Im Nachhinein muss man ja von Glück reden, dass meine Knie sich irgendwann verabschiedet haben und ich die Rennerei aufgeben musste. Wer weiß, wie lange ich sonst noch vor allem möglichen geflohen wäre. Und seit ich die Laufschuhe ausgezogen und barfuß auf die Matte gegangen bin, sehe ich all diese Dinge, die in meinem Inneren ungeklärt vor sich hin brodeln deutlicher. Yoga ist eben das Gegenteil von Davonlaufen, Yoga ist nichts so sehr wie Ankommen. Aber es dauert und es kann wirklich schmerzhaft sein. Obwohl so einige Liter Schweiß und ein paar Tränchen ein eher lächerlicher Preis für die Erkenntnis sind, dass man vor anderthalb Jahrzehnten falsch gelebt hat. Denn aus nichts lernen wir so effizient, wie aus unseren eigenen Fehlern – wenn wir sie nur erkennen.

Open your eyes. Und zwar alle drei!

Was nehme ich mit aus diesem Wochenende (außer oben genannten Muskelschmerz und verheulten Augen)?
Drei Dinge:

  1. Das Leben ist ein langer Ritt –  und was dir jetzt total sinnvoll erscheint, mag 15 Jahre später eher dämlich wirken.
  2. Guck in den Spiegel – und zwar in diesen kleinen Spezialspiegel, den du nur mit deinem dritten Auge sehen kannst.
  3. Yoga weist dir den Weg – den Weg zu dir selbst.

Yoga hat mich mehr über mich selbst gelehrt als alles andere davor. Ich musste es nur zulassen. Es mag erst mal egoistisch klingen, aber es ist nun mal so. Und wenn ich an die anderen schniefenden Yoginis und Yogis vom Wochenende denke, weiß ich, dass ich damit nicht ganz alleine bin. Tschüss Laufschuhe, Hallo Leben. Namaste.

Fotos: Liza „mein Mann weint in der Öffentlichkeit“ Meinhof.


2 responses to “Das Yogawort zum Sonntag – Davonlaufen”

  1. Liz Avatar
    Liz

    Lieber Yogadude,
    DANKE 🙏🏻für den tollen Blogeintrag.
    Ich fand mich in deinen Worten wieder⭐️
    Nach meiner Yogalehrerausbildung mit 500 h bin ich auch so langsam angekommen, obwohl ich immer noch am Joggen im Wald bin😊
    PS woher sind die Leggings mit den Kreuzen… sehr cool.
    Viele liebe Grüße Liz🙏🏻

    1. Yogadude Avatar
      Yogadude

      Vielen lieben Dank – die Leggings habe ich bei Lotus Leggings bestellt 🤘🏻