Yogi, Erbsenzähler, Vollchaot – alles in Ordnung

, ,

Stichwort: Bausparvertrag

Unter den Tattoos, den Latexleggings und dem schwarzen Nagellack, bin ich eigentlich ein totaler Spießer. Ich mähe den Rasen (also das bisschen zwischen den braunen Stellen und dem Moos). Ich halte das Auto sauber (so gut das mit zwei Kindern überhaupt möglich ist). Ich lege Geld für die Rente zurück (in die ich beim aktuellen Stand des Sparkontos in ca. 95 Jahren eintreten kann). Und ich plane mein Reisegepäck schon lange vor der Abfahrt mit Hilfe einer durchdachten Packliste plus Gepäckwaage (nur Amateure ziehen sich am Gepäckschalter spontan 14 T-Shirts an, um Geld fürs Übergepäck zu sparen). Du siehst: Wenn ein Typ wie ich ins Retreat fährt, kann eigentlich nichts schiefgehen. Ich habe vorige Woche nach Konsultation des Wetterberichts genau kalkuliert, wie viele Ober- und Unterteile, Shorts und Yogahosen ich brauche. Habe den Ersatzakku für die Kamera aufgeladen, damit ich das (ca. 10 Gramm schwere) Ladekabel nicht mitschleppen muss. Habe mir extra eine kleine Tube Sonnencreme sowie eine manuelle Zahnbürste (elektrisch = schwer) zugelegt und vor dem Packen sogar alle leeren Koffer im Haushalt gewogen und den leichtesten befüllt. Wie gesagt: Was sollte bei einem Typen, der seinen Koffer packt wie mittelgroße Unternehmen ihre Buchhaltung organisieren, überhaupt schiefgehen?

So viele Koffer, so wenig Inhalt.

Aller guten Dinge sind drei.

Wäre ich noch ein wenig autistischer veranlagt als ich es ohnehin schon bin – ich wäre am ersten Tag der Reise komplett durchgedreht. Denn ich habe es trotz meiner generalstabsmäßigen Planung geschafft, drei essenzielle Dinge zuhause liegen zu lassen. Erstens: Meinen Laptop. Normalerweise könnte ich auf den eine Woche lang verzichten. Wenn nicht haufenweise Notizen und Texte für das Retreat, zu dem ich unterwegs bin, darauf gespeichert wären. Zum Glück fiel mir dieser Faux-pas noch in der Tram ein und ich konnte auf dem Weg zum Flughafen nochmal entspannt mit meinen drei Gepäckstücken umdrehen. Als ich abends am Telefon meiner Frau von der ganzen Hektik erzählte, meinte sie (aus Spaß), dass ich immerhin nicht das Ladegerät fürs Handy vergessen hatte. War aber leider kein Spaß. Das Netzteil lag zuhause und ich konnte gleich mal in meiner Reisegruppe um Hilfe bitten. Und um meinen Gepäck-Fail zu komplettieren, hatte ich lediglich ganze 20 Euro Bargeld bei mir. Ohne zu wissen, dass es in Marokko kaum Geldautomaten gibt, vor allem nicht um Umkreis von sieben Kilometern um unsere Ferienanlage. (Es gab keinen Einzigen!) Alle anderen wussten das vorher. Weil sie statt einem Haufen Meditationsleitfäden auch mal einen Reiseführer gelesen haben. Mannomann, ausgerechnet mir passiert so etwas – der selbst ernannten Marie Kondō des Reisegepäcks.

Vor Ort günstig bekommen: Grenzdebiles Glückslächeln.

Willkommen in Marokko.

Mein allererstes Yoga Retreat diese Woche war auch mein allererster Besuch auf dem afrikanischen Festland. Entsprechend war ich als altes Landei natürlich alarmiert und habe im Vorfeld nicht nur die Einreisebestimmungen (Reisepass, sechs Monate gültig), sondern auch den empfohlenen Impfschutz (Hallo Impfgegner) und potenzielle juristische Probleme (erschreckend) gecheckt. Auch meine Partneragentur für das Yoga- & Inspirations-Retreat im Surfer-Dörfchen Taghazout teilte mir noch mit, dass Timing und Organisation in Nordafrika nicht ganz so preussisch-teutonisch sind, wie ich es aus God’s own Freistaat Bayern gewohnt bin. Aber bis zum Zeitpunkt dieses Beitrags hat alles soweit hervorragend geklappt (ich bin aktuell noch in Marokko). Ich will auch ungern spoilern, weil der Reisebericht erst in ein paar Tagen in den Blog kommt. Und ganz ehrlich: Je näher ich den Äquator reise, desto mehr erwarte ich auch ein gewisses Maß an entspannter Lebensweise. Das gehört für mich zum Urlaubsgefühl und neutralisiert ein Stück weit meinen Pack- und Vorbereitungswahn. Und: Wer kaum Bares eingepackt hat, um Trinkgeld zu geben, sollte sich über den Service nicht beschweren, hehe.

Mitgenommen: Leichtes Schuhwerk.

Yoga. In Ordnung?

Ehrlich gesagt, habe ich mir bis gestern noch nie darüber Gedanken gemacht, ob es einen Zusammenhang zwischen Yoga und Ordnung bzw. der Fähigkeit, ein halbwegs organisiertes Leben zu führen, gibt. Manche Leute sind ja geradezu zwanghaft von der Idee erfüllt, dass Yoga auf alles einen Einfluss hat und so gut wie jedes Leiden heilen kann. Aber ob ich durch Meditation ein besserer Erbsenzähler werde? Eine Schülerin hat mir zumindest von einem angesehenen Yogalehrer erzählt, der vor seinen Klassen durch den Übungsraum geht und alle Matten penibel ausrichten lässt. Aha. Ich selbst habe bzgl. der Geometrie im Yogaraum relativ wenige Emotionen. So lange alle genug Platz haben und ich beim Unterrichten nicht über Körper steigen muss, können die SchülerInnen von mir aus kreuz und quer liegen. (Mir ist bewusst, dass das sehr gegensätzlich zu meinem Gepäckfetisch ist.) Aber beim Yoga interessiert mich eher die innere Ordnung der Dinge. Gedanken und Emotionen und so, du weißt schon. An dieser Front kann ich jedoch keinen klaren Effekt von Yoga erkennen. Manchmal beruhigt es mich und gaukelt mir vor, endlich klar zu sehen. Om. Om. Om. An anderen Tagen wiederum wühlt mich meine Praxis innerlich total auf und ich brauche ewig, um alles wieder einzuordnen, was dann so hochkommt. An guten Tagen würde wohl selbst Marie Kondō vor diesem emotionalen Chaos kapitulieren und sich – in eine saubere Embryohaltung gefaltet – unter den Tisch legen und einfach weinen.

Zu Hause gelassen: Spiegel.

Planung bleibt alles.

Wahrscheinlich hat Yoga wohl wenig bis gar nichts mit meiner schwindenden Superkraft (ein paar Sachen für einen Trip ans Meer zu packen) zu tun. Und wahrscheinlich ist es Jammern auf hohem Niveau, denn andere Leute wären sicher froh, im Urlaub „nur“ drei Dinge vergessen zu haben. Aber früher hätte mir meine Vergesslichkeit wirklich etwas ausgemacht. Weil mein persönlicher Stolz ein wenig angekratzt wäre. Und weil ich eine Woche lang ständig improvisieren musste ohne Cash und Apple-Charger. Heute hingegen überwiegt die Freude, dass ich eine Woche zum Arbeiten in Afrika sein darf. Am Strand. Mit wunderbaren Menschen, die mit mir zusammen Yoga praktizieren. Und Surfen. Und auf den Markt gehen. Und abends noch was Kaltes trinken. Heute überwiegt das Wissen, dass ungefähr eine Million Dinge wichtiger sind als ein perfekt gepackter Reisekoffer. Und das – da bin ich mir sicher – hat auf jeden Fall was mit Yoga zu tun. Wobei ich natürlich froh um meinen Ersatzpulli und die Wechsel-Shorts war, nachdem ich mir beim ersten Frühstück einen kompletten Kaffee über die Klamotten gegossen hatte. Nur Amateure reisen ohne eine Ersatzgarnitur für Notfälle! Und Handdesinfektionsmittel. Und Hüftbeutel für die Wertsachen. Also bleibt es auch in Zukunft wohl noch ein bisschen beamtenhaft, wenn ich unterwegs bin. Aber wahrscheinlich beim nächsten Mal noch ein bisschen weniger. Namaste. 

Fotos: Tanja Holzmann (Titel), Yogadude


2 responses to “Yogi, Erbsenzähler, Vollchaot – alles in Ordnung”

  1. Marika Avatar

    Super Artikel. Ich mag so ein bisschen Selbstironie :)) und finde auch man wird durch Yoga kein anderer Menschen aber bestimmt etwas gelassener und das tut unglaublich gut.
    Schöne Zeit und LG

  2. […] Und was soll ich sagen? Es hat alles super funktioniert bei meiner Retreat-Premiere (nachdem es ja etwas chaotisch begonnen hatte). Die Leute am Flughafen und in der Ferienanlage? Freundlich und kompetent. Unterkunft und […]