Setzen, bitte.
Einfach mal auf dem Boden rumsitzen: Seit Sommer 2021 gibt es bei SHIVA SHIVA YOGA „für die ganz Faulen“ den Meditation Monday: Eine Yogaklasse, die (mit Ausnahme des Schneidersitzes) komplett auf Asanas verzichtet. Ziel der Übung: Die spirituell-mentale Komfortzone in der Gruppe zu verlassen und neue Meditationstechniken ausprobieren. Das kann – je nachdem, was dem Yogadude als Lehrer gerade einfällt – anstrengender sein als 90 Minuten Power-Jivamukti. Also zumindest, was die Hemmschwelle betrifft, sich vor anderen zum Affen zu machen.
Ist das noch Yoga?
Beim Meditation Monday wird in Münchens Zentrum schon mal geschüttelt, getanzt und geschrien. Diese Woche aber ging es ganz ruhig zu: Auf dem Programm stand eine kleine Journaling-Übung, bei der die Teilnehmenden ihren Tag reflektieren und das Ergebnis zu Papier bringen konnten. Hat es Spaß gemacht und wahrscheinlich alle überrascht? Auf jeden Fall. Hat das eigentlich irgendwas mit Yoga zu tun? Ist dieses Journaling Yoga? Na ja, ein bisschen vielleicht schon. Es kommt ja eigentlich nur auf die Argumentationskette an.
Was sollen die alten Meister denken?
Überhaupt muss man sich mittlerweile Fragen, ob Yoga noch Yoga ist. Sollte sich ein Erleuchteter mittels Zeitmaschinenmeditation in ein 2022er Yogastudio verirren, wäre er sicher überrascht. Und auch die Yogafundamentalisten im hier und jetzt werden in den Kommentaren auf Instagram & Co. nicht müde, ihren Unmut und ihr „Was ist nur aus dem guten alten Yoga geworden?“ rauszulassen. Wer ein Yogastudio oder einen Blog zum Thema betreibt, weiß nur zu gut, dass man alles, aber auch wirklich alles öffentlich durch den Social Media-Wolf drehen und scheiße finden kann. Fällt dir schwer? Das spricht nicht unbedingt gegen dich.
Steilvorlagen für die Kommentarspalte
Wenn du in Sachen Online-Pöbelei aber bei den ganz Großen des Sich-selbst-ganz-schön-ernst-nehmens mitspielen möchtest, kommst du an fundiertem Troll-Work nicht vorbei. Der Weg zur Erleuchtung ist immer auch ein Weg der Hasskommentare gewesen (steht so in den alten Schriften). Im Folgenden also ein paar Steilvorlagen für die nächste aktiv-aggressive Prokrastinations-Session mit dem Smartphone.
Diese Dinge haben wenig bis gar nichts mit Yoga zu tun:
1. Die Morgenroutine
Natürlich ist es fantastisch, den Tag mit einer Meditation und etwas Bewegung zu beginnen. Immerhin ziehst du damit schon malYoga Journaling vor. Do your practice and all is coming und so… Aber als gut vorbereiteter Instagram-Troll solltest du unbedingt darauf hinweisen, dass man echtes Yoga nicht mal kurz am Morgen „macht“. Yoga lebt und atmet man jeden Tag und zwar 24 Stunden lang. Eine Morgenroutine ist lediglich eine Oberflächenbehandlung und hat den Namen „Yoga“ nicht annähernd verdient.
2. Selbstoptimierung
Du hängst dich so richtig rein und bist jeden Tag die noch bessere beste Version deiner ohnehin schon geilen selbst? Interessant. Aber mit Yoga hat das mal überhaupt nichts zu tun. Keine Competition, bitte! Yoga ist ganz bestimmt kein Wettbewerb oder hast du schon mal jemanden um die Wette meditieren sehen? Und Selbstoptimierung ist – wenn man sie zu Ende denkt – auch nur ein Wettbewerb gegen dich selbst. Bäm!
3. Kakao
Die gute alte Kakaozeremonie gehört zu jedem amtlich genehmigten Yogafestival eigentlich dazu. Obwohl das Ritual irgendwie aus dem indigenen Bereich Südamerikas kommt (?), wo sich Yoga dann doch erst relativ spät durchgesetzt hat (wenn überhaupt). Weiterer Kritikpunkt: Der zeremoniell kredenzte Kakao schmeckt immer irgendwie scheiße.
4. Bier
Bieryoga ist ja wohl das Allerletzte! Wie kann man die heilige Praxis denn mit dem Konsum von Suchtmitteln kombinieren? Na gut, immerhin schmeckt der Gerstensaft nicht so übel wie der Zeremoniernkakao. Aber trotzdem: DAS GEHT DOCH NICHT!
5. Astrologie
Als Außenstehender könnte man schnell den Eindruck bekommen, die Yogaszene sei etwas anfällig für Verrückte. Und wer sich ein paar Jahre intensiver damit auseinandersetzt, weiß es. Fakt ist: Wer die Sterne nach seinem Schicksal befragt, glaubt auch, dass der Coronaimpfstoff von Reptiloiden entwickelt wurde, um die Menschheit zu versklaven.
6. Tarot/Kartenlegen
Übrigens, wenn dein Horoskop (siehe oben) nicht deinen Erwartungen entspricht: Lass dir doch mal die Karten legen. Oder lies die Zukunft aus Kaffeesatz, Fischgräten, Reifenabrieb, Hundekot oder der Form der Beule, die dein Kopf in der Ziegelwand hinterlässt, in du die ihn 108 Mal hintereinander hineinschlägst! Jedem Tierchen sein Pläsierchen – aber was Tarotkarten im Yoga suchen, muss mir mal jemand bei einer Tasse Kakao genauer erklären.
7. Fitness
Yoga ist kein Sport. Zu Beginn meiner Yogi-Laufbahn habe ich das an jeder Studioecke gehört. Komisch nur, dass es trotzdem so anstrengend ist und die Leute sich dafür in Kunstfaseroutfits zwängen. Die absolute Wahrheit aber lautet: Es ist denkbar, dass ein e körperlich stark heruntergewirtschaftete Person eine intensivere spirituelle Praxis hat als alle Handstandgötter zusammen. Also kann Yoga überhaupt kein Sport sein!
War noch was?
So, jetzt kann’s ja losgehen. Schnell diese Seite hier als Spickzettel bookmarken und ab auf die Social Media-Plattform deiner Wahl. Obwohl, eine Sache habe ich noch vergessen. Soweit ich weiß, gehört es auch zu einem überzeugten Yoga-Lifestyle, andere nicht zu verurteilen. Egal wofür. Diesen Punkt vergessen viele (inklusive des Autors dieser Zeilen) immer wieder mal. Und wie ich meinen Kindern auch gerne predige, wird man selbst nicht besser, nur wie man andere schlecht macht. Also sollte man am Ende vielleicht doch mal alle drei Augen zudrücken (oder heimlich rollen), wenn der nächste Social Post ausgespielt wird zum Thema Metal Yoga oder Journaling. Wir sehen uns auf der Matte.
Fotos: Liza „Ich mach Online-Yoga“ Meinhof