Leerlauf und ausrollen lassen.
Seit Mitte letzter Woche bin ich mit meiner Familie auf einem Campingplatz in Italien. Für die meisten hier ist das fast so etwas wie ein heiliger Ort. Teilweise kommen die Gäste schon in zweiter und dritter Generation über die Alpen gefahren, um genau hier zu urlauben. Man kann über das Reisevergnügen mit Zelt, Wohnwagen oder Camper sagen, was man will – es ist, wenn man es richtig macht, eine entspannende Sache. Obwohl: Bei mir hat es dieses Jahr fast zwei Wochen gedauert, bis sich endlich so etwas wie Entspannung wirklich eingestellt hat. Neuankömmlinge erkennt man beim Campen vor allem an ihrem blinden Aktionismus. Erst mal alles auspacken und aufbauen, dann das Gelände und die Umgebung erkunden und schließlich alle Speisekarten in allen Restaurants vergleichen (für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie sich doch in einem kleinen Punkt unterscheiden). Aber selbst den ambitioniertesten Hotelverweigerern vergeht irgendwann die Lust an dem ganzen Gewusel. Nach ein paar Tagen finden sie in den Groove der anderen: Ganz viel Herumsitzen und -liegen, stets die Mittagshitze meiden und sich zwischen den Mahlzeiten spontan einen fetten Eisbecher oder ein perfekt gekühltes Glas Weißwein gönnen. Willkommen auf dem Campingplatz.
Deine Mutter ist entspannt!
Wenn ich den Leuten hier erzähle, dass ich Yogalehrer bin, sagen die meisten „Das merkt man gleich, du bist ja so entspannt“. Ich lächle dann verständnisvoll und spare mir das Gejammer über meine drei Jobs, die ich versuche mit Familie, Freunden und Hobbys unter einen Hut zu bekommen. Und obwohl ich mich selbst meistens recht entspannt finde, merke ich erst in längeren Ruhepausen (z.B. eben im Urlaub), wie sehr ich im normalen Alltag unter Strom stehe. Natürlich sind drei Wochen im Zelt nicht mit einem Hotelaufenthalt oder Yoga-Retreat zu vergleichen, aber diese ganz besondere Form des Urlaubs entspannt mich gerade wegen ihrer kleinen Eigenheiten.
So unterscheidet sich mein Camping von meinem normalen Leben:
- Ich schaue vor dem Einschlafen in die Sterne und nach dem Aufwachen in die Baumkronen.
- Weil meine Kinder sich im Schlaf so stark auf der wackeligen Luftmatratze bewegen, schlafe ich vor dem Zelt auf dem Boden (und nenne es Savasana).
- Ich stehe extra früh auf, um am Strand eine Runde Yoga zu praktizieren, bevor die Sonne versucht mich zu vernichten.
- Ich plane meinen weiteren Tagesablauf nach Thermometer und Sonnenstand.
- Ich esse ein Eis.
- Wenn ich es morgens nicht zum Yoga geschafft habe, rolle ich am Abend die Matte aus. Dann bin ich aber innerhalb kürzester Zeit von einer Schar Kinder umringt, die mitmachen will.
- Ich esse noch ein Eis.
- Ich dusche ungefähr fünf Mal täglich.
- Ich halte manchmal Mittagsschlaf!
Mein Zelt ist mein Tempel.
Mein Sohn (4) hat mich diese Woche ganz nebenbei gefragt, was eigentlich ein Kloster ist. Ich habe dann versucht, es ihm so kindgerecht wie möglich zu erklären: Ein Kloster ist ein Ort, an den Menschen sich zurückziehen, um in Ruhe über wichtige Dinge nachzudenken. Damit sie das können, ist das Kloster meist etwas abgeschieden und die meisten Bewohner müssen es eigentlich nie verlassen. Sie können dort essen, trinken und schlafen und so bleibt ihnen viel Zeit, über Gott und das Leben zu sinnieren. Und während ich ihm das erkläre und daran denke, wie ich im Morgengrauen am Strand zum Klang der Wellen meditiert habe, wurde mir klar: Dieser überfüllte, überhitzte laute Campingplatz ist für drei Wochen mein persönliches Kloster. Eine Abtei am Meer mit Gläubigen in Badehosen. Statt der Morgenmeditation gibt es in der Frühe einen Becher Kaffee und kollektives Anschweigen, und der weitere Tagesablauf hat dann doch etwas mönchisches mit manueller Arbeit und ganz viel Ruhe. Wer muss schon nach Indien, wenn es beim Camping morgens 20 Minuten und 50 Arbeitsschritte braucht, um eine Tasse Kaffee zuzubereiten? Wer braucht ein schickes Retreat, wenn er aus dem Bett direkt in die Sterne schauen kann? Wer braucht einen Guru, wenn er jeden Morgen die Sonne über dem Meer aufgehen sehen kann? Leute, ich bin voll im Camping-Groove. Nach ein paar Tagen verlässt man das Gelände nur noch ungern, es kehrt so etwas wie zelebrierte Langeweile ein und der Kopf wird frei für Neues. Und genau deshalb verstehe nicht, warum so wenig andere Yogis hier sind. Aber vielleicht kommen die ja bald nach – ich bleib‘ auf jeden Fall noch eine Weile hier. Namaste.
PS: Nimmst du deine Yogamatte eigentlich auch mit in den Urlaub? Dann lass mir gerne einen Kommentar hier.
Fotos: Liza “Ich liege aber auf der dicken Luftmatratze” Meinhof
2 responses to “Das Yogawort zum Sonntag – Ent-schleu-ni-gung.”
Hallo Dude, da ich auch Camper bin, allerdings mit Wohnwagen, weiß ich genau was du meinst. Und du hast recht, wie du das Campen beschreibst. Die Matte ist dabei und es findet sich überall ein ruhiges Plätzchen, wenn auch nicht immer täglich. Manchmal kommt der Nachbar mit Kaffee oder Bier dazwischen. Ist aber auch völlig ok.
Noch einen schönen Resturlaub,
Namaste 🙏
[…] zufrieden zu stellen. Aber mit yogischer Lebensweise hat das im Normalfall erst mal wenig zu tun. Und das ist ja auch gut so, es sind ja schließlich […]