Mein erstes Mal – als Yogalehrer

Das ist keine Übung.

Im Raum ist Ruhe eingekehrt, keiner bewegt sich mehr und 20 Augenpaare schauen mich von 20 dicht an dicht gelegten Yogamatten aus an. Alle erwarten, dass ich etwas sage, dass es losgeht. Und ich warte eigentlich auch darauf. Bis mir wieder einfällt: Die warten auf mich und außer mir ist auch kein Yogalehrer weit und breit zu sehen. Also schlucke ich meinen Puls, der wie ein durchgeknalltes Duracell-Häschen auf Starkstrom durch meinen Körper zuckt, meine spontan ausgedörrte Kehle hinunter, mache den Mund auf begrüße die Klasse. Namaste. Ich erkläre kurz, wer ich bin und warum ich heute unterrichte, verliere ein paar Worte zum Fokus des Monats, chante, meditiere, sage Asanas an, assistiere und – als abzusehen ist, dass die erwartete Katastrophe ausbleibt – massiere ich noch einige warme Nacken und zaubere Lächeln auf zufriedene Gesichter. Ja, ich habe es getan: Letzten Sonntag habe ich meine erste Yogaklasse gegeben.

Knallhart kalkuliert.

Es gibt Menschen, die haben für alles einen Plan, ich würde behaupten, dass ich dazu gehöre. Ich bin 40 Jahre alt, verheiratet, habe zwei Kinder und einen Abschluss in Betriebswirtschaft – natürlich habe ich einen Plan. Und ich weiß, dass jeder Plan für den A…. ist, sobald das geplante Ereignis dann tatsächlich eintritt. Mein Plan war es, im kommenden April einige Probeklassen mit Freunden zu geben, um dann im Mai meine Yogalehrerausbildung erfolgreich abzuschließen. Danach wollte ich mich – mit meinem dritten Berufsabschluss in der Tasche (es gab vor dem Studium noch eine Ausbildung) – darum kümmern, Yoga zu unterrichten. Und ganz ehrlich: Mit den zweistelligen Minusgraden in dieser letzten Februarwoche erscheinen mir Monate wie April und Mai noch in absurd weiter Entfernung zu liegen. Kein Stress also – das „normale“ Leben ist ja stressig genug und wer sich zu früh auf eine Prüfung vorbereitet, macht sich nur unnötig verrückt. Alte Weisheit aus dem BWL-Studium.

Wie konnte das nur wieder passieren?

Plan hin oder her, da saß ich nun vor meinen SchülerInnen, die allesamt wirkten, als wären sie nicht zum ersten Mal beim Yoga. Oha. Wie genau bin ich hierhergekommen? Naja, es ging – wie so Vieles – eigentlich ganz schnell. Am Freitagabend habe ich bei einer Bekannten eine Yogaklasse hospitiert. Das gehört zu meiner Ausbildung und im Grunde beobachte ich eine Yogaklasse ganz genau und führe ein detailliertes Protokoll darüber. So wie die mittelmäßig motivierten Referendare in der Schule früher. In diesem speziellen Fall bot mir die Yogalehrerin aber an, die ersten 15 Minuten der Klasse selbst zu unterrichten. Eine tolle Möglichkeit für einen ersten Realitätscheck, zumal die „echte“ Lehrerin ja intervenieren konnte, falls es bei mir zu einem pädagogischen Totalausfall käme. Kam es aber zum Glück nicht und ich finde, ich habe meinen ersten kleinen Job ganz gut gemacht. Zumindest so gut, dass die Lehrerin hinterher halb scherzhaft meinte, ich könne sie ja mal vertreten, wenn sie krank würde. Was haben wir gelacht. Aber aus halb scherzhaft wurde innerhalb weniger Stunden total ernst. Wie das mit Plänen eben so ist.

Mehr spontan als vorbereitet.

Kurz nach Ende der von mir hospitierten Yogaklasse trat der Ernstfall ein. Am nächsten Morgen klingelte nämlich mein Handy und die befreundete Yogalehrerin teilte mir mit, dass sie sich nach allem fühle, aber nicht danach, in den nächsten Tagen Yoga zu unterrichten. Sie war krank. Und – ach ja – ob ich sie denn gerne am nächsten Morgen vertreten könne. Weil dieser Moment für mich in Superzeitlupe geschah, weiß ich genau, dass ich auf zwei Arten reagiert habe: Mein äußeres Ich sagte spontan mit einem zuversichtlichen Lächeln zu und wünschte gute Besserung. Mein inneres Ich hingegen legte sich eigentlich zum Sterben hin. Ich hatte noch 24 Stunden Zeit um einen neuen Plan zu entwerfen. 24 Stunden! Für etwas, das laut altem Plan erst in knapp drei Monaten passieren sollte. Und irgendwie können 24 Stunden dann ganz schön schnell vorbei sein und plötzlich zeigst du dem letzten Schüler noch zwei Übungen für seine Beinrückseiten, schließt die Fenster, löschst Lichter und Kerzen und schließt das Yogastudio ab. Schönen Sonntag noch. Und noch viel Spaß mit dem ganzen Adrenalin.

Diese wunderbare Stille.

Bei einer anderen Hospitation hatte ich ja bereits festgestellt, dass ich Geld dafür bezahlen würde, anderen beim Savasana zuzuschauen. Als Lehrer ist die Abschlussentspannung nämlich wirklich der Hammer, die glücklichen, erschöpften Menschen und die Wärme und Energie im ganzen Raum. Dieses eine Mal war aber die Stille, nachdem der letzte Schüler gegangen war, fast noch magischer. Da waren nur noch das Yogastudio und ich, helle, leere Räume und diese wunderbare Ruhe nach dem (innerlichen) Sturm. Und die Gewissheit, dass ich nicht nur bald offiziell ein Yogalehrer bin, sondern es auch ganz bestimmt sein will. Bis dahin ist es noch ein langer Weg und die drei geplanten Monate erscheinen mir jetzt nur noch lächerlich kurz für das, was ich noch lernen muss. Aber diese spontane erste Yogaklasse war eigentlich der perfekte Plan für mich: Weil alles so kurzfristig kam, hatte ich gar keine Zeit, richtig nervös zu werden und weil ich 90 Minuten lang komplett auf mich alleine gestellt war, musste ich mich auch alleine durch die Klasse kämpfen. Wie gesagt: Es gibt noch ganz, ganz viel zu lernen und zu üben. Aber der Anfang ist getan und von diesem Schritt gibt es jetzt auch kein Zurück mehr. Zum Glück. Namaste.

 

PS: Vielen Dank an Heike und Sabine von Santosa Yoga in München-Giesing für ihr Vertrauen in meine Arbeit und mich und für dieses einmalige Erlebnis. Und ganz besonderen Dank an alle SchülerInnnen, die bei meinem „Jungfernflug“ dabei waren.

Und hier durfte ich unterrichten:
Santoṣa Yoga
Tegernseer Landstr. 98
81539 München-Giesing
www.santosayoga.de

Heike Tiller unterrichtet bei Santoṣa freitags und sonntags Jivamukti Yoga.

Fotos: Liza Meinhof


6 responses to “Mein erstes Mal – als Yogalehrer”

  1. Tanja Avatar
    Tanja

    Wow, da durfte ich also dabei sein! Hast du ziemlich gut hinbekommen 👍🙏

  2. Anja Avatar
    Anja

    Herrlich – ja , so ist s mir auch „passiert“, mein erstes Mal. Und es war wirklich sehr viel nervenschonender, wenn man sich nicht vorher 5 Tage verrückt macht wie dann beim 2. Mal 😜

    Alles liebe

  3. Maud Leusner Avatar
    Maud Leusner

    Glückwunsch, einfach mal machen, ist doch die beste Übung. Meine Erfahrung ist auch, dass Vertretungsstunden sehr dankbares Übungsgebiet sind. Alle sind froh, dass überhaupt einer was ansagt. Ich bin bisher auch “nur” Kinderyoga Lehrerin, mach aber gerade eine Stunde mit den netten Damen im Turnverein. Spass!

  4. Sandra Avatar

    Klingt super, herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg und Adrenalin weiterhin. Und was das Anfassen angeht: (Ich konnte den eigentlichen Artikel nicht mehr kommentieren) Mir hat immer geholfen bzw. gefallen, wenn der Yogalehrer vor der Endentspannung sagte, “ich komm noch mal rum – wer nicht mag, legt die Hand auf den Bauch” oder die Decke auf sich oder was auch immer. Keep going, keep learning.

  5. […] den vielen Dingen, die ich in meiner ersten Yogaklasse als Lehrer gelernt habe, gehört, dass Zeit endlich ist. Während des Unterrichts linste ich immer wieder mal […]

  6. […] mehrere Trips in die Vergangenheit nach Berlin (unter anderem zum Schwarzen Yoga) und natürlich mein Jungfernflug als Yogalehrer vor zwei Wochen hier in München. Adrenalin pur, da kann man schon mal außer Atem kommen bei so […]